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Ertränkt alle Hunde

Ertränkt alle Hunde

Titel: Ertränkt alle Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Adcock
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Male, an denen eine Nonne mit finsterem Blick mich bei irgendeinem Jungenstreich erwischte. Zum Beispiel einen roten Streifen Zündplättchen in den Bleistiftanspitzer an der Wand ihres Klassenzimmers zu stecken. Die Schwester packte mich dann so fest am Ohr, daß ich den Knorpel ploppen hörte. Dann zerrte sie mich schnell und stumm irgendeinen langen Korridor hinunter, genauso schwarz und furchterregend wie ihr Habit. Am schrecklichen Ende dieses schmerzhaften Marsches lag das eine Büro, sanctum sanctorum des unbarmherzigen Father Naughton mit seinem Holzschläger, der winzige Löcher besaß, um sicherzustellen, daß die Schläge auch ja die maximale aerodynamische Wucht erhielten.
    Aber was hatte ich jetzt von der Vergangenheit zu befürchten?
    Willst du es wirklich wissen ?
    Wir gingen nicht, wie ich erwartet hatte, in Chancellor Cavanaughs Büro, um uns dort »zu unterhalten«. Wir gingen daran vorbei auf unserem stillen, langen Gang durch ein Gewirr an Korridoren, die schließlich auf der Rückseite des Bibliotheksgebäudes auf die Straße führten. Draußen umrundeten wir eine efeubewachsene Ecke der hohen Collegemauer, um sodann einen Pub namens Ould Plaid Shawl zu betreten.
    »Hallo, Peadar«, sagte der Wirt zu Cavanaugh, als wir hineingingen, und hob seinen fleischigen Arm zum Gruß. Mich starrte er mit höflicher Neugier an und wartete darauf, vorgestellt zu werden. Ein halbes Dutzend Rentner standen an der Theke und führten eine Diskussion über irgendeine obskure geschichtliche Frage, eine Diskussion, die genauso abgetragen war wie ihre Tweedjacken. Für uns interessierten sie sich nicht und schauten nicht einmal auf. Um diese Zeit waren die Tische und Sitznischen leer bis auf zwei Kellnerinnen, die Zigaretten rauchten und tratschten und sich für den Ansturm zur Mittagszeit ausruhten.
    Cavanaugh machte sich nicht die Mühe, meine Anwesenheit zu erklären. Er rauschte an den alten Käuzen vorbei und sagte steif zum Wirt: »Schönen guten Morgen, Sean. Wir haben geschäftliche Dinge zu besprechen, wenn du erlaubst. Sei so gut und bring uns eine Kanne Kaffee, weiß - und was immer mein Freund hier haben möchte?«
    »Ein Pint vom Faß«, sagte ich zu Sean, als ich an ihm vorbeiging und irgendwie das Gefühl hatte, als zerre eine Nonne an meinem Ohrläppchen.
    Wir setzten uns an einen quadratischen Tisch in einer schummrigen Ecke weit hinten im Lokal. Auf dem Tisch standen eine Kerze in einem runden Glas, bunte Guinnessuntersetzer aus Blech und ein voller Aschenbecher mit Zigarettenkippen und Streichhölzern. Cavanaugh kramte ein gestreiftes Päckchen Rothman’s und ein Zippo aus der Seitentasche seiner schwarzen Jacke.
    »Zigarette?« fragte er und schob mir Päckchen und Feuerzeug über den Tisch zu. Ich bedankte und bediente mich. Außerdem zündete ich die Kerze zwischen uns an, wodurch genug Licht vorhanden war, um Peadar Cavanaugh wenigstens einigermaßen mustern zu können.
    Seine Kleidung gehörte nicht ins zwanzigste Jahrhundert. Die Anzugjacke, die er beim Sitzen geschlossen hielt, war ein vierknöpfiges viktorianisches Modell, schwer und unförmig vor Alter. Aus der Brusttasche bauschte sich ein riesiges, dunkelrotes Seidentuch mit Paisleymuster; bei einem jüngeren, weniger gesetzten Mann hätte dies feminin gewirkt. Seine Krawatte, nur eine Nuance weniger trübselig als der Anzug, wurde weitgehend von seinem Bart verdeckt, der fast bis zur Brustmitte hinabreichte. Die düstere Ehrwürdigkeit von Cavanaughs Anzug fand einen Ausgleich in seinem rötlichen Gesicht, das von Haaren so dicht und schneeweiß wie sein Bart eingerahmt wurde, und seinen Augen, die im trüben Licht des Ould Plaid Shawl kobaltblau waren.
    Hatten die Augen meines Vaters den gleichen Blauton besessen? Und wie oft hatte ich mich schon dabei ertappt, Männer wie Cavanaugh anzustarren und das schwarzweiße Soldatenfoto meines Vaters durch die Zeit zu projizieren?
    »Sie sehen ihm so ähnlich«, sagte Cavanaugh. Dann registrierte ich, daß auch er mich gemustert hatte und daß ich mich in seine Projektionen einfügte. Weil ich wußte, daß er soviel wie möglich von mir sehen wollte, nahm ich die Yankees-Kappe ab. Jetzt schwang ein Verlustgefühl in seiner Stimme mit. »Wenn Sie richtig gekleidet wären, und der damaligen Zeit entsprechend«, sagte er, »dann könnte es Aidan selbst sein, der genau dort sitzt, wo Sie jetzt sitzen.«
    »Sie standen sich also nahe, Sie und mein Vater?«
    »Ich war ein Freund. Niemand konnte

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