Erwachende Leidenschaft
Besuch bat. Sie setzte die Zeit auf vier Uhr nachmittags fest.
Der Arzt war pünktlich. Stefan begleitete ihn in den Salon und wagte es dabei, seiner Herrin einen finsteren Blick zuzuwerfen, weil sie darauf bestanden hatte, den Mann einzulassen. Sie schenkte der Wache ein freundliches Lächeln.
»Ihr Mann hat uns ausdrücklich Befehl gegeben, daß niemand außer den nächsten Verwandten das Haus betreten dürfe«, flüsterte er.
»Sir Winters gehört doch praktisch zur Familie«, entgegnete sie. »Und ich fühle mich nicht besonders gut. Ich brauche ihn.«
Stefan entschuldigte sich sofort, und Alesandra verspürte leichte Gewissensbisse, daß sie ihn so angelogen hatte. Aber das überwand sie schnell, als sie sich versicherte, daß sie ja nur Colins Bestes im Sinn hatte.
Sie zog die Türen zu und schloß Stefan damit aus. Dann bot sie Sir Winters, der seine braune Ledertasche unter dem Arm hielt, auf dem Sofa Platz zunehmen.
»Wenn Sie indisponiert sind, sollten Sie eigentlich im Bett liegen, Prinzessin.«
Sie lächelte ihn an. »So krank bin ich nicht«, verkündete sie. »Ich habe nur ein leichtes Kratzen in der Kehle, das ist alles.«
»Heißer Tee ist dann die beste Lösung«, erwiderte Sir Winters. »Ein Schlückchen Brandy hat auch immer einen hervorragenden Effekt.«
Da der weißhaarige Mann so ernsthaft und besorgt aussah, konnte sie ihre Lüge einfach nicht länger aufrechterhalten. »Eigentlich hatte ich überhaupt keinen Grund, Sie herzubemühen«, gestand sie ihm. »Ich möchte mit Ihnen lediglich über Colin reden.«
Alesandra setzte sich dem Arzt gegenüber und faltete die Hände im Schoß. »Ich habe Sie mit einer List hierhergelockt«, gab sie zu und wirkte plötzlich, als würde sie eine schlimme Sünde beichten. »Mein Hals ist absolut in Ordnung. Die einzige Gelegenheit, wo er mir wirklich weh tut, ist dann, wenn ich meinen sturköpfigen Mann anbrüllen will und weiß, daß ich es nicht tun sollte.«
Sir Winters lächelte. »Colin kann stur sein, nicht wahr?«
»Ja«, flüsterte sie.
»Dann ist er also krank?« fragte der Arzt.
Sie schüttelte den Kopf. »Es gehl um sein Bein«, erklärte sie leise. »Er will natürlich nicht darüber sprechen. Er reagiert auf dieses Thema höchst empfindlich, aber ich weiß, daß er starke Schmerzen hat. Ich habe mich jetzt gefragt, ob es nicht irgend etwas gibt, das seine Schmerzen lindern kann.«
Der Arzt lehnte sich in dem Sofa zurück. Ihre Miene sagte ihm, daß ihre Sorge echt war. »Er hat Ihnen vermutlich noch nicht erzählt, wie er zu der Verwundung kam, nicht wahr?«
»Nein.«
»Ein Hai hat ihm ein Stück aus dem Bein gebissen, Prinzessin. Ich habe ihn damals verarztet, und eine ganze Weile überlegte ich, ob ich das Bein ganz abnehmen sollte. Colins Partner Nathan hinderte mich aber daran. Sehen Sie, Ihr Mann war nicht in der Lage, mir seine Meinung dazu zu sagen. Er war Gott sei Dank die meiste Zeit bewußtlos.«
Ein Klopfen an der Tür unterbrach sie. Flannaghan trat mit einem Silbertablett ein, und Alesandra und der Arzt schwiegen, bis der Butler ihnen den Tee eingeschenkt hatte und wieder hinausgegangen war.
Sir Winters schob seine Tasche aus dem Weg und beugte sich vor, um sich von den Keksen zu bedienen, die auf dem Tablett lagen. Er schob einen in den Mund und trank dann einen Schluck hinterher.
»Colin würde ziemlich wütend werden, wenn er wüßte, daß wir hier über seine Behinderung reden«, gab Alesandra zu. »Und ich habe Gewissenbisse, weil ich weiß, daß er es mir übelnehmen würde.«
»Unsinn«, erwiderte Sir Winters. »Sie wollen ja nur sein Bestes. Ich werde ihm bestimmt nichts von unserem Gespräch berichten. Nun, kommen wir zu Ihrer Frage. Wie können wir ihm helfen? Normalerweise würde ich Laudanum oder Brandy vorschlagen, wenn die Schmerzen zu stark werden, aber ich weiß sehr gut, daß Colin beides nicht nimmt.«
»Ist sein Stolz der Grund dafür?« fragte sie.
Winters schüttelte den Kopf. »Es ist die Abhängigkeit«, erwiderte er. »Laudanum macht süchtig, Prinzessin, und manche behaupten, Alkohol hätte die gleiche Auswirkung. Wie auch immer, Colin will dieses Risiko nicht eingehen.«
»Ich verstehe«, sagte Alesandra, als der Arzt nicht gleich fortfuhr.
»Ich habe ihm ebenfalls eine Stahlschiene vorgeschlagen, die sein Bein vom Knie bis zum Knöchel stabilisiert. Ihr Mann war entsetzt von dem Angebot.«
»Er ist zu stolz dazu.«
Winters nickte. »Und auch einen Hauch klüger als ich«, bemerkte
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