Erwachende Leidenschaft
sich gut daran erinnern, wie ihre Stimme geklungen hatte, als sie ihm sagte, sie mochte das Wort gehorchen nicht. Teufel, das konnte er ihr nicht verübeln. Er fand es ohnehin ein wenig barbarisch, von einer Frau das Versprechen zu verlangen, den Rest des Lebens ihrem Mann zu gehorchen. Aber derart radikale Ansichten würden ihn im Handumdrehen ins Newgate-Gefängnis befördern, wenn die Konservativen Wind von seinen subversiven Gedanken bekämen. Zudem war Colin ehrlich genug, sich einzugestehen, daß ein kleiner Teil von ihm – ein winzigkleiner Teil – die Idee von einer gehorsamen, unterwürfigen Frau recht anziehend fand. Doch würde das Gefühl nicht lange andauern, das wußte er. Es gab Diener, die bezahlt wurden, ihm gehorsam seine Wünsche zu erfüllen. Und vielleicht gab es ja auch Frauen, die genauso umgänglich waren. Alesandra gehörte nicht in diese Kategorie, und er fand, daß er dafür Gott danken konnte. Sie besaß Widerspruchsgeist und eine gewaltige Portion Frechheit, und er würde sie überhaupt nicht anders wollen. Sie behandelte alles mit der gleichen Leidenschaft.
Ihre Makel, entschied er, machten ihre Perfektion aus.
Alesandra hatte keinen Laut von sich gegeben, als sie in ihr Bett und unter die Decken zurückgehastet war. Doch sie konnte das Bild von Colins gequältem Gesicht nicht aus ihrem Kopf verbannen. Ihr Herz litt mit ihm. Bis zu diesem Zeitpunkt war ihr nicht bewußt gewesen, wie schrecklich seine Schmerzen tatsächlich waren, doch nun, da sie es erkannt hatte, würde sie einen Weg finden, ihm zu helfen. Das schwor sie sich.
Plötzlich hatte sie wieder eine Aufgabe. Sie zündete eine Kerze an und machte eine Liste der Dinge, die sie tun mußte. Zuerst würde sie alles lesen, was sie zu diesem Thema bekommen konnte. Als zweites würde sie den Arzt, Dr. Winters, aufsuchen. Sie würde ihn mit Fragen überschütten und um Behandlungsvorschläge bitten. Dann fiel ihr nichts mehr ein, was sie ihrer Liste noch hinzufügen konnte, doch sie war jetzt müde geworden, und nach dem Schlaf, den sie jetzt brauchte, würde ihr sicher noch mehr einfallen.
Sie legte den Zettel auf den Tisch zurück und blies die Kerze aus. Ihre Wangen waren tränenfeucht, und sie tupfte sie mit der Decke ab. Dann schloß sie die Augen und versuchte, wieder einzuschlafen.
Plötzlich schoß ihr die Erkenntnis durch den Kopf: Colin wollte wegen seines Beines nicht in ihrem Bett bleiben! Er wollte nicht, daß sie von seinen Schmerzen erfuhr. Ja, das ergab einen Sinn. Natürlich war wieder sein Stolz daran schuld, aber möglicherweise ging es auch um Rücksichtnahme. Wenn er die ganze Nacht herumlaufen müßte, würde er ihren Schlaf stören. Auch das ergab einen Sinn. Erleichtert seufzte Alesandra auf.
Colin hatte sie also doch nicht zurückgewiesen.
11
Früh am nächsten Morgen wurde Alesandra sanft von Colin geweckt. »Liebling, mach die Augen auf. Ich will mit dir reden, bevor ich gehe!«
Sie kämpfte sich aus dem Schlaf und setzte sich auf. »Wo gehst du denn hin?«
»Zur Arbeit«, antwortete er.
Langsam ließ sie sich wieder in die Laken zurücksinken, aber Colin beugte sich über das Bett und hielt ihre Schultern fest. Er konnte nicht sagen, ob sie die Augen geöffnet hatte oder nicht, denn ihre Locken hingen ihr wild ins Gesicht und verbargen es vollkommen. Er zog sie mit einer Hand auf, während er mit der anderen das Haar aus ihren Augen strich. Er war ebenso ungeduldig wie amüsiert. »Bist du schon wach?«
»Ich glaube ja.«
»Ich will, daß du im Haus bleibst, bis ich zurückkomme. Ich habe Raymond und Stefan bereits entsprechende Befehle gegeben.«
»Warum muß ich denn im Haus bleiben?«
»Hast du schon vergessen, daß es eine Police auf dreißig Tage gibt?«
Sie gähnte laut. Ja, irgendwie mußte sie das wohl vergessen haben. »Willst du damit sagen, daß ich einen vollen Monat eingesperrt bleiben soll?«
»Laß es uns zumindest heute so halten, Frau.«
»Colin? Wie spät ist es?«
»Kurz nach Sonnenaufgang.«
»O Gott.«
»Hast du gehört, was ich dir gesagt habe?«
Sie gab keine Antwort. Statt dessen krabbelte sie aus dem Bett, zog ihren Hausmantel über und ging in sein Schlafzimmer.
»Was machst du?«
»Ich gehe in dein Bett.«
»Und warum?«
»Weil ich dahin gehöre.«
Sie vergrub sich in seine Decke und schlief eine Minute später schon wieder tief und fest. Er zog die Decke ein Stück weg, bückte sich und küßte sie auf die Stirn.
Flannaghan wartete im Flur.
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