Erwarte mich in Paris (German Edition)
nicht gut.“
„Dank meiner kleinen weißen Freunde bin ich fast wie neu. Glaub mir! Außerdem möchte ich, dass ihr euch kennenlernt. Ich habe so lange darauf gewartet, meine zwei besten Freunde miteinander bekannt zu machen.“
Ich wankte die Treppe hinauf. Dass Piero kurz zögerte und einen Blick zurück warf, bemerkte ich nicht.
Die Musik war leiser als sonst. Sie hallte nicht durch die Flure, sondern war nur ein leises Hintergrundgeräusch. Auch schien immer wieder dasselbe Duett in einer Endlosschleife zu laufen. Vielleicht war Alain eingeschlafen? Ich hatte ihn ja lange genug warten lassen.
Als wir durch das Studio liefen, hörte ich, wie Piero etwas hinter mir zurück blieb. Das fand ich sehr zuvorkommend. So konnte ich Alain vorbereiten, dass ich heute nicht allein kam.
Verzweiflung
Als ich die Tür zu Alains Schlafzimmer öffnete, fiel mir als erstes auf, dass die Markisen heruntergelassen waren und den Ausblick durch das Glasdach verhinderten. Das war ungewöhnlich. Alain genoss die Weite des Himmels, genauso wie ich. Dass sie mich an mein altes Leben erinnerte, hatte ich ihm nie sagen müssen.
„Alain?“
Er antwortete nicht. Der große Flachbildfernseher lief und erhellte den Raum. Verwundert registrierte ich, dass, trotz der ausgeschalteten Lautstärke, eine Quizshow lief. Seit wann sah Alain derart Triviales? Im Hintergrund hörte ich noch immer die Musik. Die beiden Liebenden sangen und verschmolzen zu einer gemeinsamen Stimme.
Der hohe Sessel, in dem Alain fern sah, stand von der Tür abgewendet. Das Bett war unbenutzt. Dass er vor dem TV eingeschlafen sein sollte, konnte ich mir irgendwie nicht vorstellen. Ich grinste bei dem Bild, das mir dabei in den Sinn kam: Alain, mit auf die Brust gesunkenem Kinn.
Ich lächelte. Wenn ich nachdachte, hatte ich ihn eigentlich noch nie schlafend gesehen. Dafür war er mit viel zu viel Energie gesegnet.
„Alain?“, versuchte ich es noch einmal. Ein leises Klirren erklang, als ich über etwas stolperte. Sein Spazierstock, mit dem schweren Knauf, lag auf dem Boden. Im bläulichen Licht des Bildschirms erkannte ich, dass etwas Dunkles an dem Silber klebte.
Ich bückte mich und hob ihn auf. Als ich das Dunkle als Blut und Haare identifizierte – kurze, graue Haare, ließ ich ihn sofort wieder fallen. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper.
„Alain?“ rief ich jetzt, ohne auf meine schrille Stimme zu achten. Angst krallte sich in meinen Magen. Ich stürzte zum Sessel und taumelte entsetzt zurück. Den Anblick, der sich mir bot, verkraftete mein überspanntes Gehirn nicht.
Das Zimmer begann sich um mich zu drehen.
Alains aufgedunsenes Gesicht – das kleine, blutige Rinnsal auf seiner Stirn - das Kabel, das sich in die Haut seines Halses geschnitten hatte - der blutverkrustete Stock - Piero, der auf mich zueilte und irgendetwas rief – alles zerfloss in dem Strudel, der mich zu ersticken drohte.
Ich schlug hart auf dem Boden auf. Mein Kopf schmerzte. Dunkelheit verschlang alles um mich herum. Hände, die mich schüttelten. - Nein, ich wollte nicht wach werden. Lass mich in Ruhe, ich will schlafen. Ich träume nur.
Alles wird gut. Mea culpa . Habe ich nicht gewollt. Omnes Angelos et Sanctos . Ich versprech’ dir … wird er büßen. Mea maxima culpa. Versprech’ ich dir. B eatam Mariam semper Virginem . Niemals mehr allein. A d Dominum Deum nostrum . … hole Hilfe. Mea culpa . Sind bald da. - … Ihr Name? O mnipotenti et vobis . Wer sind sie? ... Was machen sie hier? Mea maxima culpa . … sofort in ein Krankenhaus. - Verwirrenden Worte, die sich in schnell zusammenziehenden Kreisen um mich drehten.
Kamen sie von Außen oder aus meinem Inneren?
Ich wusste es nicht. Trotzdem bäumte ich mich auf. „Nein, nein … kein Krankenhaus. Ich will hier bleiben.“ Ich stammelte, versuchte mühsam aufzustehen.
Hände drückten mich herunter. Etwas blendete meine Augen und stach in mein Hirn.
„Was hat er genommen?“
„Keine Ahnung, die Tabletten liegen in seinem Zimmer. Ich hol sie.“
Schritte entfernten sich. Eine undeutliche Stimme redete auf mich ein, hielt mich wach. So gern würde ich wieder in die Dunkelheit eintauchen, vergessen.
Vergessen? Hatte ich irgendetwas, das ich vergessen sollte? Es war doch gerade noch so schön gewesen. Piero war endlich da.
„Zwei davon? Mit Alkohol?“ Etwas stach in meine Armbeuge. Ich versuchte meinen Arm wegzuziehen.
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