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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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war er so glücklich gewesen – ja, glücklich. Es war eine schwüle, tiefe Seligkeit gewesen. Ach, wenn ihre Schritte über die letzten Stufen eilten ... wenn sie ihm in die Arme gestürzt kam ... und wenn sie in dem dämmerigen Zimmer, das von Blumen und Zigaretten duftete, wortlos und regungslos auf den weißen Polstern lagen ... Aus, aus ...
    Ich werde abreisen, es ist das einzige, was ich tun kann. Werde ich denn mein Zimmer überhaupt noch betreten können! Ich werde ja weinen müssen, ich werde tagelang, immer, immer werde ich weinen ...
    Er kam an einem Kaffeehaus vorbei. Es fiel ihm ein, daß er seit gestern mittag keinen Bissen genossen; er ging hinein, frühstücken. – Als er das Lokal wieder verließ, war es neun Uhr vorbei. – Nun kann ich wieder hin – ich muß sie ja noch einmal sehen – was tu' ich nur dort? ... Werde ich sie sehen können? ... Ich muß sie sehen ... ja, ich muß meine, meine, meine geliebte tote Anna ein letztesmal sehen. – Aber wird man mich in das Sterbezimmer lassen? ... Gewiß; es werden mehr Leute dort sein, und alle Türen werden offen stehen ...
    Er eilte hin. – Beim Tor stand die Hausbesorgerin, sie grüßte ihn, als er vorbeiging; auf der Treppe lief er zwei Herren vor, die gleichfalls hinaufgingen. Schon im Vorzimmer standen einige Leute. Die Tür war flügelweit offen; Albert trat ein. Der Vorhang des einen Fensters war zurückgeschlagen, und es fiel einiges Licht in den Raum. Da waren etwa zwölf Menschen, die saßen oder standen und sehr leise sprachen. Die alte Dame, die er schon früher gesehen, saß ganz zusammengebrochen in der Ecke eines dunkelroten Sofas. Als Albert an ihr vorüberkam, sah sie ihn an; da blieb er vor ihr stehen und reichte ihr die Hand. – Sie nickte mit dem Kopfe und fing wieder an zu weinen. Albert schaute um sich; die zweite Tür, die zum Nebenzimmer führte, war geschlossen. Er wandte sich an einen Herrn, der am Fenster stand und ganz gedankenlos durch die Spalte des Vorhangs hinausschaute ... »Wo liegt sie?« fragte er. Der Herr wies mit der Hand nach der rechten Seite. Albert öffnete leise die Türe. Er war geblendet von dem vollen Licht, das ihm da entgegenströmte. Er befand sich in einem ganz lichten, kleinen Zimmer mit Tapeten weiß in gold und hellblauen Möbeln. Kein Mensch war da. Die Türe zum nächsten Zimmer war nur angelehnt. Er trat ein. Es war das Schlafgemach. –
    Die Fensterläden waren geschlossen; eine Ampel brannte. Auf dem Bette lag die Tote ausgestreckt. Die Decke war bis zu ihren Lippen hingebreitet; zu ihren Häupten auf dem Nachtkästchen brannte eine Kerze, deren Licht grell auf das aschgraue Antlitz fiel. Er hätte sie nicht erkannt, wenn er nicht gewußt hätte, daß sie es war. Erst allmählich ging ihm die Ähnlichkeit auf – erst allmählich wurde es Anna, seine Anna, die da lag, und das erstemal seit dem Beginne dieser entsetzlichen Tage fühlte er Tränen in seine Augen kommen. Ein heißer, brennender Schmerz lag ihm auf der Brust, er hätte aufschreien mögen, vor sie hinsinken, ihre Hände küssen ... Jetzt erst merkte er, daß er nicht allein mit ihr war. Jemand kniete zu Füßen des Bettes, hatte den Kopf in der Decke vergraben und hielt die eine Hand der Toten in seinen beiden Händen fest. In dem Momente, da Albert eben einen Schritt näher zu treten versucht war, hob jener den Kopf. Was werde ich ihm denn sagen? – Aber schon fühlte er von dem Knienden seine rechte Hand ergriffen und gedrückt und hörte ihn mit tränenerstickter Stimme flüstern: Dank, Dank. – Und dann wandte sich der Weinende wieder weg, ließ den Kopf niedersinken und schluchzte leise in die Decke. Albert blieb noch eine Weile stehen und betrachtete das Gesicht der Toten mit einer Art von kalter Aufmerksamkeit. Die Tränen waren ihm wieder ganz ausgeblieben. Sein Schmerz wurde plötzlich ganz dürr und wesenlos. Er wußte, daß ihm diese Begegnung später einmal schauerlich und komisch zugleich vorkommen würde. Er wäre sich sehr lächerlich erschienen, hätte er mit diesem da zusammen geschluchzt.
    Er wandte sich zum Gehen. An der Tür blieb er noch einmal stehen und schaute zurück. Das Flimmern der Kerze machte, daß er ein Lächeln um Annas Lippen zu sehen glaubte. Er nickte ihr zu, als nähme er Abschied von ihr und sie könnte es sehen. Jetzt wollte er gehen, aber nun war es ihm, als hielte sie ihn mit diesem Lächeln fest. Und es wurde mit einemmal ein verächtliches, fremdes Lächeln, das zu ihm zu reden

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