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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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ich es nicht wissen kann und daß du es ebensowenig wissen kannst als ich.«
    »Was sprichst du da? Woher kommen dir mit einem Male solche Zweifel?«
    »Das will ich dir sagen, Dionysia. Niemals war mir – niemals dir selbst, die früher im Frieden ihres väterlichen Hauses und jetzt an meiner Seite still dahingelebt hat, Gelegenheit gegeben, dich kennen zu lernen. Woher also nimmst du, woher nehme ich das Recht überzeugt zu sein, daß deine Zärtlichkeit Liebe, deine Unbeirrtheit Treue, das Gleichmaß deiner Seele Glück bedeuten, und sich auch im Drang und Sturm eines bewegteren Lebens so bewähren würden?«
    Nun nickte Dionysia wie beruhigt. »Glaubst du wirklich,« fragte sie, »daß bisher noch niemals Versuchungen an mich herangetreten sind? Habe ich dir etwa verschwiegen, daß sich, ehe du meine Hand begehrtest, andere Männer um mich beworben haben, jüngere, ja sogar weisere als du? Und ohne dein Erscheinen vorhersehen zu können, mein teuerer Erasmus, habe ich sie alle ohne Bedenken abgewiesen. Und auch in diesen Tagen, wenn an unserm Gartenzaun Wanderer vorbeiziehen, sehe ich in ihren jungen Augen gar oft gefährliche Fragen und Wünsche glühen. Keinem hat mein Blick je Antwort gegeben. Und sogar die fremden Gelehrten, die sich mit dir über die Kometen kommender Jahrhunderte unterhalten, versäumen selten eine Gelegenheit, durch Augenspiel und Lächeln mir anzudeuten, daß meine Huld ihnen werter wäre als alle Kunde von Sonne, Mond und Sternen. Habe ich einem von ihnen jemals andere Höflichkeit erwiesen, als sie eben Gästen geziemt, die an unserem Tische speisen?«
    Spöttisch erwiderte Erasmus: »Du bildest dir gewiß nicht ein, Dionysia, daß du mir, der ich die Menschen kenne, mit diesen deinen Worten etwas Neues erzählt hast. Aber wenn dein Betragen auch immer ohne Fehle gewesen ist, weiß ich darum, und weißt du es selbst, Dionysia, ob deine Unnahbarkeit den wahren Ausdruck deines Wesens vorstellt; – oder ob du nur deshalb allen Werbungen widerstanden hast, und dich entschlossen glaubst, ihnen auch in Zukunft zu widerstehen, weil du bisher gar nie auf den Gedanken kamst, daß es anders sein könnte, oder weil du insgeheim fürchtest, der gewohnten Behaglichkeit deines Daseins für alle Zeit verlustig zu werden, wenn du je versuchtest, dich über die Gebote ehelicher Sitte hinwegzusetzen?«
    »Ich verstehe nicht,« rief Dionysia betroffen, »was du mit alldem sagen willst? Ich habe nicht die geringste Lust, dergleichen zu versuchen und versichere dich, daß ich mich in meinem jetzigen Zustand vollkommen zufrieden und glücklich fühle.«
    »Daran zweifle ich nicht, Dionysia. Aber verstehst du denn noch immer nicht, daß mir das gar nichts mehr bedeutet, nichts bedeuten kann, nun, da mir in stiller Nachtstunde die Einsicht geschenkt ward, daß das tiefste Geheimnis deiner Seele noch verborgen und unerweckt in dir ruhen mag? Um aber die Ruhe wiederzufinden, die mir sonst für ewig verloren wäre, ist es unerläßlich, daß dieses Geheimnis ans Licht gebracht werde; und darum Dionysia, habe ich beschlossen, dich frei zu geben.«
    »Mich frei zu geben?« wiederholte Dionysia ratlos mit weitgeöffneten Augen.
    Unbeirrt fuhr Erasmus fort: »Höre mich wohl an, Dionysia, und versuche mich zu verstehen. Von diesem Augenblick an begebe ich mich aller Rechte auf dich, die mir bisher eingeräumt waren: des Rechts dich zu warnen, dich zurückzuhalten, dich zu strafen. Ja, ich verlange vielmehr, daß du jeder Neugier, die sich in dir regt, jeder Sehnsucht, die dich lockt, ohne Zögern Folge leistest, wohin sie dich auch führe. Und zugleich schwöre ich dir, Dionysia: du magst von hier gehen, wohin du willst, mit wem du willst – wann du willst, magst heute heimkommen oder in zehn Jahren – als Königin oder Bettlerin, unberührt oder als Dirne – du wirst jederzeit dein Gemach, dein Bett, dein Gewand in diesem Haus bereit finden, wie du sie verlassen; und von mir, der weiter hier verweilen, aber nicht deiner warten wird, für alle Zukunft keinen Vorwurf oder auch nur eine Frage zu fürchten haben.«
    Dionysia streckte sich ruhig im Bette hin, die Hände über dem Haupt verschlungen und fragte: »Ist es Ernst oder Scherz, was du hier sprichst?«
    »Es ist so völlig Ernst, Dionysia, daß nichts auf dieser Welt, keine Bitte und kein Flehen mich bewegen könnten, die Worte, die ich eben gesprochen, wieder zurückzunehmen. Versteh mich also wohl, und nimm's in seiner ungeheuersten Bedeutung, Dionysia,

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