Erzählungen
angelangt, stehen geblieben – die zwölf Schläge der Mittagsstunde ertönten nicht.
Gérande suchte ihrem Vater, der ohnmächtig niedergestürzt war, zu helfen; er mußte zur Kirche hinausgetragen werden.
»Das ist sein Todesstoß!« flüsterte Gérande schluchzend.
Meister Zacharius war in seine Wohnung gebracht worden und befand sich noch immer in einem Zustande vollkommener Besinnungslosigkeit. Das Leben pulsirte in ihm nur noch, wie die letzten Flämmchen an einer halb erloschenen Lampe aufflackern und emporzucken.
Als er sein Bewußtsein wieder erlangte, hatten sich Aubert und Gérande über ihn geneigt, und in diesem Augenblick der Erregung gewann die Zukunft in seinen Augen die Gestalt der Gegenwart; er sah seine Tochter allein, ohne Stütze in der Welt stehen.
»Lieber Aubert, ich gebe Dir hier meine Tochter«, sagte er plötzlich mit schwacher Stimme und streckte die Hand nach seinen Kindern aus. – So wurden die beiden Liebenden an seinem Todtenbette vereinigt.
Aber gleich darauf schien eine Bewegung des Zorns über Meister Zacharius zu kommen; die Worte des kleinen Alten waren ihm wieder in’s Gedächtniß zurückgekehrt.
»Ich will nicht sterben! Ich kann nicht sterben! Ich, der Meister Zacharius, soll nicht sterben! rief er aus. Meine Bücher!… Meine Rechnungen!…«
Und mit größter Anstrengung raffte er sich auf, verließ sein Bett und griff nach einem Buche, in dem er die Namen seiner Kunden und die ihnen verkauften Gegenstände notirt hatte. Er durchblätterte es mit leidenschaftlicher Hast, und endlich blieb sein hagerer Finger auf einer der Seiten haften.
»Da! rief er, da!… Diese alte eiserne Uhr ist die einzige, die mir noch nicht zurückgebracht wurde! Ich hatte sie an Pittonaccio verkauft; sie existirt! sie lebt, und geht noch immer! Ich will sie haben, muß sie wiederfinden! und ich will sie so gut pflegen, daß der Tod keine Macht über mich gewinnt.«
Er sank in eine tiefe Ohnmacht.
Aubert und Gérande knieten neben dem Bett des Alten nieder und beteten für ihn.
Fünftes Capitel.
Die Todesstunde.
Einige Tage waren nach dieser Begebenheit vergangen, da erhob sich der todtkranke Meister wieder von seinem Lager und erlangte durch eine fieberhafte Aufregung scheinbar seine Kräfte zurück. Es war, als wenn er von Stolz lebte. Aber Gérande ließ sich dadurch nicht täuschen; sie wußte, daß Leib und Seele ihres Vaters für immer verloren waren.
Der Alte brachte nun mit fieberhafter Hast, ohne sich um seine Kinder zu kümmern, die letzten Hilfsmittel zusammen, die ihm noch zu Gebote standen; es mußte ihn eine unbeschreibliche Energie kosten, so kräftig einherzuschreiten und, mit sich selber redend und murmelnd, seine Wohnung zu durchstöbern.
Eines Morgens, als Gérande in die Werkstätte des Alten herabstieg, war ihr Vater dort nicht mehr zu finden. Sie wartete den ganzen Tag auf ihn und weinte sich fast die Augen aus; aber Meister Zacharius erschien nicht wieder.
Aubert eilte in die Stadt, um Erkundigungen einzuziehen, und kam mit der traurigen Gewißheit wieder, daß der Greis die Stadt verlassen habe.
»Wir wollen den Vater aufsuchen! rief Gérande, als der junge Gehilfe ihr diese schmerzliche Nachricht brachte.
– Wo kann er sich hingewendet haben?« fragte Aubert.
Da erhellte eine plötzliche Eingebung seinen Geist; es war nicht anders möglich, als daß der Alte den Weg nach Schloß Andernatt eingeschlagen hatte; denn all seine Gedanken hatten sich in letzter Zeit auf die eiserne Uhr concentrirt, die ihm noch nicht zurückgebracht war. Er mußte sich aufgemacht haben, um sie zu suchen.
Aubert theilte Gérande diesen Gedanken mit, und sie meinte, man würde in dem Buche ihres Vaters weitere Aufklärung hierüber finden.
Beide gingen nun in die Werkstätte hinab und fanden den Band offen auf dem Arbeitstische des alten Uhrmachers liegen. Alle Taschen-und Wanduhren, die er je verkauft und jetzt wieder zurückerhalten hatte, waren sorgfältig darin gebucht und in der letzten Zeit ausgestrichen, nur eine einzige Notiz stand noch ohne weiteres Vermerk da; sie lautete:
»Verkauft an Herrn Pittonaccio eine eiserne Uhr mit Schlagwerk und beweglichen Figuren; aufgestellt in seinem Schlosse zu Andernatt.«
Es war dies die lehrhafte Uhr, von der die alte Scholastica mit so großen Lobeserhebungen gesprochen hatte.
»Mein Vater muß dort sein! rief Gérande.
– Laß uns hineilen, wir können ihn vielleicht noch retten! schlug Aubert vor.
– Nicht für dieses
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