Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
wirft dieses Klümpchen Schleim nicht aus.
Der Arzt wartet geduldig. Wenn es kein Klümpchen gibt, gibt es kein Krankenhaus. Die Einweisung wird ein anderer bekommen, und von diesen anderen gibt es viele. Jetzt hast du Glück gehabt, nur dein Hintern, der Enddarm kann den Ruck, den Spuckefleck, den Start in die Unsterblichkeit nicht aufbringen.
Schließlich fällt etwas heraus, herausgepresst aus den Labyrinthen des Darms, aus diesen zwölf Metern Schlauch, dessen Peristaltik plötzlich versagt hatte.
Ich saß hinter dem Zaun, presste aus allen Kräften auf meinen Bauch und flehte den Enddarm an, das ersehnte Stückchen Schleim herauszudrücken, herauszugeben.
Der Arzt saß geduldig und rauchte seine Machorka-Papirossa. Der Wind bewegte den kostbaren Einweisungsschein, der auf dem Tisch unter einem »Kolymtschanka«-Benzinlämpchen klemmte. Solche Einweisungsscheine durfte nur der Arzt unterschreiben, bei persönlicher Verantwortung des Arztes für die Diagnose.
Ich rief all meine Erbitterung zu Hilfe. Und der Darm funktionierte. Der Enddarm warf irgendeine Spucke, einen Klecker aus – falls das Wort »Klecker« einen Singular hat, ein Klümpchen Schleim von grau-grüner Farbe mit dem kostbaren roten Faden – einem Streifen von besonderem Wert.
Die Menge Kot fand Platz auf der Mitte eines Erlenblatts, und zuerst kam es mir vor, als wäre in meinem Schleim gar kein Blut.
Aber der Arzt war erfahrener als ich. Er hob den Spuckefleck aus meinem Enddarm zu den Augen, roch an dem Schleim, warf das Erlenblatt weg und unterschrieb, ohne sich die Hände zu waschen, die Einweisung.
In derselben weißen nördlichen Nacht wurde ich ins Kreiskrankenhaus »Belitschja« gebracht. Auf dem Stempel des Krankenhauses »Belitschja« stand »Zentrales Kreiskrankenhaus der Nördlichen Bergwerksverwaltung« – diese Wortverbindung wurde sowohl im Gespräch, im Alltag verwendet als auch in der offiziellen Korrespondenz. Was zuerst aufkam – ob der Alltag das bürokratische Muster sanktionierte oder die Formel nur die Bürokratenseele ausdrückte, ich weiß es nicht. »Wenn du es nicht glaubst, nimms als Märchen«, nach einem Ganovensprichwort. In Wirklichkeit aber bediente »Belitschja« neben den anderen Regionen der Kolyma – der Westlichen, Südwestlichen und Südlichen – die Nördliche Region, war Kreiskrankenhaus. Das Zentralkrankenhaus für Häftlinge aber war das riesige, bei Magadan, an Kilometer 23 der Haupttrasse Magadan-Sussuman-Nera errichtete Krankenhaus mit tausend Betten, das später ans Linke Ufer des Kolyma-Flusses verlegt wurde.
Ein riesiges Krankenhaus mit Hilfsbetrieben, mit Fischerei und Sowchose, und mit tausend Betten, mit tausend Toden pro Tag in den »Spitzen«monaten der
dochodjagi
an der Kolyma. Hier, bei Kilometer 23, wurde die Arbeitsbefreiung gegeben, die letzte Etappe vor dem Meer – und der Freiheit oder dem Tod irgendwo in einem Invalidenlager bei Komsomolsk. Bei Kilometer 23 öffneten sich die Zähne des Drachens zum letzten Mal und entließen in die »Freiheit« – selbstverständlich nur den, der zufällig am Leben geblieben war in den Schlachten, den Frösten der Kolyma.
»Belitschja« aber lag an Kilometer 501 dieser Trasse nahe Jagodnoje, nur sechs Kilometer vom nördlichen Zentrum, das sich längst in eine Stadt verwandelt hatte, aber 1937 bin ich selbst durch den Fluss gewatet, und unser Soldat erschoss einen großen Auerhahn, einfach so, ohne die Etappe beiseite zu führen oder sich auch nur hinsetzten zu lassen.
In Jagodnoje hatte man mich auch vor einigen Monaten vor Gericht gestellt.
»Belitschja« war ein Häftlingskrankenhaus mit etwa hundert Betten, mit bescheidenem Versorgungspersonal – vier Ärzte, vier Feldscher und Sanitäter, alles Häftlinge. Nur die Oberärztin war Vertragsarbeiterin, Parteimitglied, Nina Wladimirowna Sawojewa, eine Ossetin mit dem Spitznamen »Schwarze Mama«.
Neben diesem Personal konnte das Krankenhaus alle möglichen Genesungspunkte und Genesungskommandos halten – es war ja nicht 1938, zu Garanins Erschießungszeiten, als es beim Krankenhaus des Bergwerks »Partisan« keinerlei GP und GK gab.
Der Verlust, der Schwund an Leuten wurde in jener Zeit leicht vom Festland ersetzt, und man schickte immer neue Etappen in das Todeskarussell. Achtunddreißig führte man die Etappen sogar zu Fuß nach Jagodnoje. Aus einer Kolonne von 300 Mann kamen acht in Jagodnoje an, die anderen blieben auf dem Weg, hatten sich die Füße erfroren, starben. Für
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