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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Volksfeinde gab es keinerlei Genesungskommandos.
    Anders war es im Krieg. Menschlichen Ersatz konnte Moskau nicht schicken. Man befahl der Lagerleitung, den Listenbestand zu halten, der schon hingeschafft, zugeteilt war. Und hier erhielt auch die Medizin gewisse Rechte. Damals stieß ich im Bergwerk »Spokojnyj« auf eine erstaunliche Zahl. Aus dem Listenbestand von 3000 Mann waren bei der Arbeit in der ersten Schicht 98. Der Rest war in stationären oder halbstationären Einrichtungen oder im Krankenhaus, oder er war vom Ambulatorium freigestellt.
    Und damals besaß auch »Belitschja« das Recht, sich ein Kommando aus genesenden Kranken zu halten. GK oder sogar GP – ein Genesungskommando oder einen Genesungspunkt.
    Um die Krankenhäuser konzentrierte sich damals auch eine große Zahl von kostenlosen Arbeitskräften, von Häftlingen, die bereit waren, für eine Brotration oder einen weiteren Tag im Krankenhaus ganze Berge von beliebiger Gesteinsart zu versetzen, außer dem steinernen Grund des Goldbergwerks.
    Die Genesenden von »Belitschja« waren fähig, waren imstande, goldene Berge zu versetzen und hatten es schon getan, die Spur ihrer Arbeit sind die Goldgruben in den Bergwerken des Nordens, aber sie schafften es nicht, »Belitschja« trockenzulegen – der blaue Traum der Oberärztin, der »Schwarzen Mama«. Sie konnten den Sumpf um das Krankenhaus nicht zuschütten. »Belitschja« steht auf einer Anhöhe, einen Kilometer von der zentralen Trasse Magadan-Sussuman. Dieser Kilometer stellte im Winter kein Problem dar – weder für Fußgänger noch für Pferde oder Automobile. Der »Winterweg« ist die größte Stärke der Straßen an der Kolyma. Aber im Sommer schmatzt und gluckst der Sumpf, der Begleitposten führt die Kranken einzeln und zwingt sie, von Höcker zu Höcker, von Steinchen zu Steinchen, von Pfad zu Pfad zu springen, obwohl erst im Winter von der erfahrenen Hand eines Ingenieurs, eines der Kranken, ein ideal gezeichneter Pfad in den Frostboden gehauen wurde.
    Aber im Sommer geht die Verfrostung zurück, und die Grenze, die letzte Linie, bis an die heran die Verfrostung zurückgeht, ist unbekannt. Um einen Meter? Um tausend Meter? Niemand weiß das. Kein Hydrograph, der in einer »Douglas« aus Moskau kommt, und kein Jakute, dessen Väter und Großväter hier geboren wurden, auf dieser sumpfigen Erde.
    Die Schlammlöcher werden mit Steinen zugeschüttet. Berge von Kalkstein lagern gleich hier, nebenan, unterirdische Stöße und Einstürze, lebensbedrohliche Erdrutsche – all das bei blendend klarem Himmel: An der Kolyma gibt es keinen Regen, Regen und Nebel gibt es nur an der Küste.
    Um die Melioration kümmert sich die niemals untergehende Sonne selbst.
    In diesen sumpfigen Weg – den Kilometer von Belitschja bis an die Trasse – sind vierzigtausend Arbeitstage, Millionen (Arbeits-)Stunden von Genesenden versenkt. Jeder muss einen Stein in die weglose Tiefe des Sumpfes werfen. Die Versorgung warf an jedem Sommertag Steine in den Sumpf. Der Sumpf schmatzte und schluckte die Gaben.
    Der Sumpf der Kolyma ist ein bedeutsameres Grab als irgendwelche slawischen Kurgane oder die Landenge, die Xerxes’ Armee zugeschüttet hat.
    Jeder Kranke, der aus »Belitschja« entlassen wurde, musste einen Stein in den Krankenhaussumpf werfen – eine Kalksteinplatte, die hier von anderen Kranken oder der Versorgung während der »Subbotniks« hergestellt wurden. Tausende Menschen warfen Steine in den Sumpf. Der Sumpf schmatzte und schluckte die Platten.
    In drei Jahren tatkräftiger Arbeit wurde keinerlei Ergebnis erzielt. Wieder wurde ein Winterweg gebraucht, und der schmachvolle Kampf mit der Natur erstarb bis zum Frühling. Im Frühling begann alles von neuem. Aber in drei Jahren war es nicht gelungen, eine Straße zum Krankenhaus anzulegen, über die ein Wagen durchgekommen wäre. Wie früher musste man die Entlassenen mit Sprüngen von Höcker zu Höcker hinausbegleiten. Und über dieselben Höcker zur Behandlung herholen.
    Nach drei Jahren ununterbrochener allgemeiner Anstrengungen war nur eine punktierte Linie gezeichnet – ein zickzackförmiger unsicherer Weg von der Trasse bis zum Krankenhaus »Belitschja«, ein Weg, den man nicht laufen, gehen oder fahren konnte, man konnte nur von Platte zu Platte springen – wie vor tausend Jahren von Höcker zu Höcker.
    Dieses schmachvolle Duell mit der Natur erbitterte die Oberärztin »Schwarze Mama«.
    Der Sumpf triumphierte.
    Ich arbeitete mich mit

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