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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Oberärztin, die zu warnen dem einbeinigen Wächter nicht mehr gelungen war.
    Der zwanzigjährige Chef des selbständigen Lagerpunkts, ein ehemaliger Frontsoldat, aber von der Front befreit wegen eines eingeklemmten Bruchs, vielleicht wurde das auch nur gesagt, wahrscheinlich war es kein Bruch, sondern Beziehungen – eine Hand von oben, die den Leutnant mit der Beförderung in den nächsten Rang von Guderians Panzern an die Kolyma versetzte.
    Die Bergwerke verlangten Leute, Leute. Die unbeschränkte, rücksichtslose Goldgräberei, früher verboten, wurde jetzt von der Regierung gefördert. Leutnant Solowjow wurde geschickt, um sein Können, sein Verständnis, sein Wissen zu beweisen – und sein Recht.
    Die Chefs der Lagereinrichtungen beschäftigen sich nicht persönlich mit dem Abtransport der Etappen, mischen sich nicht in die Krankengeschichten, besehen nicht die Zähne von Menschen und Pferden, befühlen nicht die Muskeln der Sklaven.
    Im Lager tun all das die Ärzte.
    Die Listenbelegschaft der Häftlinge – der Arbeitskräfte der Bergwerke – schmolz mit jedem Sommertag, mit jeder Nacht an der Kolyma rückten weniger und weniger zur Arbeit aus. Die Leute aus den Goldminen kamen »an den Hügel« und ins Krankenhaus.
    Die Kreisverwaltung hatte längst alles herausgeholt, was sie konnte, alles gekürzt, was möglich war, außer selbstverständlich den persönlichen Offiziersburschen oder Gehilfen, wie sie an der Kolyma hießen, außer den Gehilfen der obersten Leitung, außer den aus den Häftlingen rekrutierten privaten Köchen, der persönlichen Dienerschaft. Alles war überall abgeschöpft.
    Nur eine Abteilung, die dem jungen Chef unterstand, hatte nicht die nötige Abgabe geleistet – das Krankenhaus! Hier sind noch Reserven verborgen. Die verbrecherischen Ärzte decken die Simulanten.
    Wir, die Reserven, wussten, warum der Leutnant ins Krankenhaus gekommen war, warum sein »Willys« am Krankenhaustor vorfuhr. Übrigens hatte das Krankenhaus kein Tor und kein Gitter. Das Kreiskrankenhaus stand im Tajgasumpf auf einer Anhöhe, zwei Schritt weiter – Preiselbeeren, burunduks und Eichhörnchen. Das Krankenhaus hieß »Belitschja« , obwohl es dort schon längst kein einziges Eichhörnchen mehr gab. In der Klamm unter dem üppigen purpurnen Moos lief ein kalter eisiger Bach. Und dort, wo der Bach in das Flüsschen mündet, steht das Krankenhaus. Bach und Flüsschen sind namenlos.
    Die Topographie der Gegend kannte Leutnant Solowjow, als er seine Operation plante. Um ein solches Krankenhaus im Tajgasumpf zu umzingeln, hätte auch eine Kompanie Soldaten nicht ausgereicht. Die Disposition war eine andere. Die militärischen Kenntnisse des Leutnants ließen ihm keine Ruhe, brachen sich Bahn in seinem gewinnsicheren tödlichen Spiel, in der Schlacht gegen die rechtlose Häftlingswelt.
    Dieses Jagdspielen brachte Solowjows Blut in Wallung, die Jagd auf Menschen, die Jagd auf Sklaven. Der Leutnant suchte nicht nach literarischen Vergleichen – das war ein militärisches Spiel, eine von ihm längst erdachte Operation, der Tag »T« .
    Aus dem Krankenhaus führten die Begleitposten Menschen heraus, die Beute Solowjows. Alle, die angezogen waren, alle, die der Chef auf den Beinen angetroffen hatte und nicht im Bett, und auch aus dem Bett Geholte, deren Sonnenbräune bei Solowjow Verdacht weckte, wurden zum Lagerhaus geführt, wo der »Willys« stand. Der Fahrer zog eine Pistole.
    »Wer bist du?«
    »Arzt.«
    »Zum Lagerhaus. Dort wird man sehen.«
    »Wer bist du?«
    »Feldscher.«
    »Zum Lagerhaus!«
    »Wer bist du?«
    »Nachtsanitäter.«
    »Zum Lagerhaus.«
    Leutnant Solowjow persönlich führte die Operation für den Nachschub von Arbeitskraft in den Goldbergwerken durch.
    Der Chef persönlich prüfte alle Schränke, alle Dachböden, alle Verliese, in denen sich nach seiner Meinung die verbergen konnten, die sich vor dem Metall, vor dem »ersten Metall« versteckten.
    Der einbeinige Wächter wurde auch zum Lagerhaus gebracht. Dort wird man sehen.
    Vier Frauen, Krankenschwestern, wurden zum Lagerhaus gebracht. Dort wird man sehen.
    Dreiundachtzig Mann standen dicht gedrängt am Lagerhaus.
    Der Leutnant hielt eine kurze Rede:
    »Ich werde euch zeigen, wie man Etappen zusammenstellt. Wir zerschlagen euer Nest. Die Papiere!«
    Der Fahrer holte einige Blätter aus der Kartentasche seines Chefs.
    »Ärzte, vortreten!«
    Drei Ärzte traten vor – mehr gab es auch nicht im Krankenhaus.
    Von den Feldschern traten zwei

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