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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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frischem Wind. Wir stiegen die Verzweigungen der zahllosen, endlosen Flüsschen hinauf und suchten Erdrutsche an den Hängen, um Machmutow zu den Kahlstellen zu führen, damit der Geologe die Zeichen der Kohle lesen könnte. Aber die Erde blieb stumm, und wir nahmen den Bärenpfad nach oben – einen anderen Weg gab es nicht in diesem Windbruch, dem Chaos, das von den Winden einiger Jahrhunderte in die Schlucht geschlagen war. Kalmajew und Pikulew schleppten das Zelt bachaufwärts, und der Geologe und ich gingen in die Tajga, fanden einen Bärenpfad und liefen, uns durch den Windbruch schlagend, den Pfad hinauf.
    Die Lärchen waren grün, und der Duft ihrer Nadeln schlug durch den Fäulnisgeruch der gestorbenen Stämme – der Schimmel schien ebenfalls frühlingshaft, grün, schien ebenfalls lebendig, und die toten Stämme verströmten den Duft des Lebens. Der grüne Schimmel am Stamm schien lebendig, erschien als Symbol, als Zeichen des Frühlings. In Wahrheit ist das die Farbe der Hinfälligkeit, die Farbe der Fäulnis. Aber die Kolyma gab uns noch schwierigere Fragen auf, und die Ähnlichkeit von Leben und Tod verwirrte uns nicht.
    Der Pfad war solide, alt, ein bewährter Bärenpfad. Jetzt liefen ihn Menschen, zum ersten Mal seit der Erschaffung der Welt, der Geologe mit dem Kleinkalibergewehr und dem Geologenhämmerchen in der Hand und hinten ich mit der Axt.
    Es war Frühling, alle Blumen blühten gleichzeitig, die Vögel sangen alle Lieder gleichzeitig, und die Tiere beeilten sich, die Bäume einzuholen in der unvernünftigen Fortpflanzung ihrer Art.
    Schräg über dem Bärenpfad lag der tote Stamm einer Lärche, ein gewaltiger Stumpf, ein Baum, dessen Gipfel vom Sturm geknickt, gekippt war … Wann? Vor einem oder vor zweihundert Jahren? Ich kenne die Zeichen der Jahrhunderte nicht, und gibt es sie überhaupt? Ich weiß nicht, wie viele gewesene Bäume an der Kolyma auf dem Erdboden stehen und welche Spuren die Zeit Jahr um Jahr auf dem Stumpf hinterlässt. Lebende Bäume zählen die Zeit in Ringen – jedes Jahr ein Ring. Wie die Jahresfolge für Baumstümpfe, für tote Bäume verzeichnet wird, weiß ich nicht. Wie lange man eine gestorbene Lärche, einen zerschlagenen Fels, einen vom Sturm gefällten Wald nutzen kann – für eine Höhle nutzen, für eine Bärenhöhle –, wissen die Tiere. Ich weiß das nicht. Was bringt den Bären dazu, sich eine andere Höhle zu suchen? Was bringt ein Tier dazu, sich zwei oder drei Mal in ein und dieselbe Höhle zu legen?
    Der Sturm hatte die geknickte Lärche gebeugt, aber aus der Erde reißen konnte er sie nicht – dazu fehlte dem Sturm die Kraft. Der geknickte Stamm hing über dem Pfad, und der Bärenpfad ging um den toten Stamm herum und führte gerade weiter. Man konnte leicht die Höhe des Vierfüßlers abschätzen.
    Machmutow schlug mit dem Geologenhämmerchen an den Stamm, und der Baum antwortete mit einem dumpfen Laut, dem Laut eines hohlen Stamms, der Leere. Die Leere war Höhlung, Rinde, Leben. Aus der Leere fiel direkt auf den Weg ein Wiesel, ein winziges Tierchen. Das Tierchen verschwand nicht im Gras, in der Tajga, im Wald. Das Wiesel hob die Augen zu den Menschen, voller Verzweiflung und Wagemut. Das Wiesel war im letzten Moment der Schwangerschaft – die Geburtswehen gingen auf dem Pfad, vor uns weiter. Bevor ich irgend etwas tun konnte, schreien, begreifen, ihn aufhalten, schoss der Geologe aus dem mit einem
shakan
, einem Stück Blei zum Empfang des Bären, geladenen Berdan-Gewehr aus nächster Nähe auf das Wiesel. Machmutow schoss schlecht nicht nur auf fliegende Ziele …
    Das verwundete Wiesel kroch auf dem Bärenpfad direkt auf Machmutow zu, und Machmutow machte einen Rückzieher, wich zurück vor seinem Blick. Das Hinterpfötchen des schwangeren Wiesels war abgeschossen, und das Wiesel zog den blutigen Brei seiner ungeborenen, nicht geborenen Jungen hinter sich her, der Kinder, die in einer Stunde geboren wären, wenn Machmutow und ich weit weg gewesen wären von der geknickten Lärche, sie wären geboren und wären eingetreten in die harte und ernste Tierwelt der Tajga.
    Ich sah, wie das Wiesel auf Machmutow zukroch, sah die Verwegenheit, die Erbitterung, die Rache, die Verzweiflung in seinen Augen. Ich sah, dass da keine Angst war.
    »Das beißt mir noch die Stiefel durch, das Aas«, sagte der Geologe, zurückweichend und die guten neuen Sumpfstiefel schützend. Und das Berdan-Gewehr am Lauf gepackt, setzte der Geologe den Kolben ans

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