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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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stattfanden? Dort, sagt man, gab es …«
    »Ja«, sagte ich, »eben der.«
    1973

Reise nach Ola
    An einem sonnigen Magadaner Tag, an einem klaren Sonntag sah ich mir das Spiel der örtlichen Mannschaften »Dynamo 3« und »Dynamo 4« an. Der Geist der Stalinschen Unifizierung prägte diese langweilige Einförmigkeit der Namen. Das Finale wie die Vorrunden bestritten sämtlich Mannschaften namens »Dynamo«, was übrigens auch zu erwarten war in der Stadt, in der wir uns befanden. Ich saß weit entfernt, auf den fernen oberen Plätzen, und wurde Opfer einer optischen Täuschung, mir war, als liefen die Spieler beider Mannschaften beim Vorbereiten der Tormanöver sehr langsam, und wenn es zum Angriff auf das Tor kam, beschrieb der Ball in der Luft eine so langsame Bahn, dass man den ganzen Tor-Akt mit einer Zeitlupenaufnahme im Fernsehen vergleichen konnte. Aber die Zeitlupenaufnahme im Fernsehen war noch nicht aufgekommen, noch nicht aufgekommen war auch der Fernseher selbst, sodass mein Vergleich ein in der Literaturwissenschaft gut bekannter Fehler war. Im Film, übrigens, gab es die Zeitlupenaufnahme schon zu meiner Zeit, sie kam vor mir in die Welt oder ist meine Altersgenossin. Mit der Zeitlupenaufnahme im Film hätte ich dieses Fußballspiel vergleichen können und merkte erst dann, dass es hier nicht um Filmaufnahmen geht, sondern dass das Fußballspiel einfach im Hohen Norden stattfindet, auf anderen Längen- und Breitengraden, dass die Bewegung der Spieler hier verlangsamt ist, wie ihr ganzes Leben verlangsamt ist. Ich weiß nicht, ob es unter den Teilnehmern Opfer der berühmten Stalinschen Repressalien gegen die Fußballer gab. Stalin mischte sich nicht nur in die Literatur und in die Musik ein, sondern auch in den Fußball. Die Mannschaft von ZSKA , die beste Mannschaft des Landes, den Meister jener Jahre, hatte man 1952 nach der Niederlage bei der Olympiade auseinandergejagt. Und diese Mannschaft ist niemals wiedererstanden. Unter den Teilnehmern des Magadaner Spiels durften diese Spieler nicht sein. Doch dafür konnte das Quartett der Starostin-Brüder spielen – Nikolaj, Andrej, Aleksandr und Pjotr –, alles Spieler der nationalen Auswahlmannschaft. Zu meiner Zeit, der beschriebenen Zeit, wie sich die Historiker ausdrücken, saßen alle Starostin-Brüder im Gefängnis, der Spionage für Japan beschuldigt.
    Manzew, der Vorsitzende des WSFK – des Obersten Sowjets für Körperkultur – war vernichtet, erschossen. Manzew kam aus den Reihen der alten Bolschewiki, der Aktivisten des Oktoberumsturzes. Das war auch der Grund für seine Vernichtung. Die Sinekure, die Manzew die letzten Monate innehatte, die ihn vom Tod trennten, konnte natürlich Stalins Rachedurst nicht dämpfen, nicht stillen.
    In der Kreisabteilung von Magadan sagte man mir:
    »Wir haben keinerlei Einwände gegen Ihre Abreise aufs Festland, aufs Große Land. Lassen Sie sich einstellen oder entlassen, fahren Sie ab – von uns wird es keinerlei Hemmnisse geben, und an uns muss man sich überhaupt nicht wenden.«
    Das war ein alter Trick, ein Spiel, das ich aus meiner Kindheit kenne. Die Ausweglosigkeit, die Notwendigkeit, drei Mal am Tag zu essen, nötigten die ehemaligen Häftlinge, sich solche Belehrungen anzuhören. Ich gab meine ersten freien Dokumente, die mageren freien Dokumente bei der Kaderabteilung des Dalstroj ab, das Arbeitsbuch mit einem einzigen Eintrag und eine Kopie des Zeugnisses über den Abschluss des Feldscherlehrgangs, beglaubigt durch Zeugenaussagen zweier Ärzte, ehemaliger Dozenten. Zwei Tage später kam die Anforderung eines Feldschers nach Ola, einem Nationalrayon, in dem die Staatsmacht die Bevölkerung vor dem Strom der Häftlinge bewahrte – der millionenstarke Strom zog vorüber, über die Kolyma-Trasse in den Norden. Das Ufer – Arman, Ola, Siedlungen, in denen wenn nicht Kolumbus, dann Erik der Rote Station gemacht hat, waren am Ochotskischen Ufer seit alten Zeiten bekannt. Es gab an der Kolyma auch die topographische Legende, der Fluss und das Land selbst seien nach – nicht mehr und nicht weniger – Kolumbus benannt, und der berühmte Seefahrer sei mehrmals selbst dort gewesen während seines Besuchs von England und Grönland. Das Ufer war gesetzlich geschützt. Dort durften nicht alle ehemaligen
seki
leben – Ganoven ließ man nicht in diese Region, weder ehemalige noch heutige, weder ausgestiegene noch aktive, aber ich als frischgebackener Freier hatte das Recht, die gesegneten Inseln zu

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