Es darf auch mal Champagner sein
fuhr mich auf lange Touren über Land. Ich aß mit mir in intimer Einsamkeit zu Abend und verdrehte mir den Kopf mit Blumen und Pralinen. Ich wusste, diese Beziehung wuchs mir allmählich über den Kopf, aber irgendwie war es stärker als ich. Wir verstanden uns so wundervoll. Ich wusste genau, wann ich mit mir reden und wann ich schweigen musste. Ich wusste, wann ich schlechter Laune war und mich allein lassen musste. Ich lobte mich, wenn ich eine Sache gut gemacht hatte, und verwöhnte mich uferlos. Ich konnte mir nichts abschlagen, weil ich ein so wundervoller Mensch war. Die Leute fingen schon an zu reden und verbreiteten Gerüchte über mein außereheliches Verhältnis mit mir selbst. Das war mir gleichgültig. Mein Gefühl für mich war tief und echt. (Ich glaube, ich habe mir sogar gesagt, ich hätte gern ein Kind von mir.)
Ungefähr vier Monate lang war ich meine beste Freundin gewesen, da fielen mir einige Kleinigkeiten an mir auf, die ich anfangs nicht bemerkt hatte. Wenn ich lachte, schnarchte ich wie der Motor eines Chevrolet Baujahr 1936. Nachts im Bett machte ich mich wahnsinnig, weil ich dauernd die Kissen umdrehte, um »eine kühle Stelle« zu finden. Und wenn ich diskutierte, lächelte ich. Jeder weiß doch, wie widerwärtig es ist, mit jemand zu diskutieren, der dabei lächelt.
Und nicht nur das. Einige meiner einstigen schlechten Angewohnheiten traten wieder auf. Erst vor wenigen Tagen hatte ich mich an der Schnellkasse von jemand überholen lassen, der zwölf Posten gekauft hatte, und ich hatte nicht protestiert. Ich hatte nicht gelernt, mein Leben zu beherrschen, ich hatte nur eine vorübergehende Anwandlung von Unabhängigkeit gehabt. Ich sagte mir, wenn ich mich wirklich liebte, könne ich tun, was ich wollte.
Jeden Abend vor dem Schlafengehen tat ich das, was Doktor Emitz einem riet. Ich stellte mich vor den Spiegel und sagte: »Ich liebe dich.« Mein Mann rief dann jedes Mal dazwischen: »Das sagst du jetzt, aber wirst du morgen früh noch Achtung vor dir haben?«
Als ich mich eines Morgens um eine Tasse Kaffee bat und mir erwiderte: »Geh und hol sie dir selber«, kam Mayva dazu und fragte: »Hältst du schon wieder Selbstgespräche?«
»Wieso wieder ?«
»Du tust es schon seit Monaten. Du gehst nicht mehr aus. Du lädst niemanden mehr ein. Du hast keine Freundinnen. Niemand ruft dich an. Du rennst immer nur im Haus herum und murmelst: ›Ich bin okay, was man von euch anderen nicht unbedingt behaupten kann.‹ Und dabei ist kein Mensch in der Nähe.«
»Mayva«, seufzte ich, »in den letzten Monaten habe ich so viel über mich erfahren. Durch Selbstanalyse und psychologisches Einfühlungsvermögen habe ich entdeckt, dass ich im Grunde ein langweiliger Mensch bin.« Sie versuchte, mir in die Rede zu fallen. »Ich meine es ernst. Neulich abends habe ich mir eine amüsante Geschichte erzählt, über die ich schon hundertmal gelacht habe und habe mich mittendrin unterbrochen und gefragt: ›Was gibt's im Fernsehen?‹«
Mayva legte ihre Hand auf die meine. »Wenn man immerzu über sich nachdenkt, wird man sich natürlich langweilig. Das nennt man ›Auch-ich-und-nur-ich-Syndrom‹. Begreifst du denn nicht: Nach sich selbst Ausschau halten, das ist wie Reste von gestern. Es war mal in, und jetzt ist es out . Kein Mensch macht das mehr. Heutzutage heißt das Stichwort: Einsatz. Jeder setzt sich heute für irgendetwas ein. Hör dich doch mal um, wenn du in Gesellschaft bist. Jeder hat ein Anliegen, ein Vorhaben, ein Ziel, etwas, woran er glaubt und für das er kämpft. Heute heißt es: sich einbeziehen lassen!«
»Du willst mich nur veräppeln«, sagte ich. »Wenn sich die Dinge so verändert hätten, wüsste ich es.«
»Du hast zu isoliert gelebt«, sagte Mayva, »darum hast du es nicht mitgekriegt. Du musst aus dem Haus und wieder am Leben teilnehmen, mit Leuten reden, ausgehen, etwas unternehmen. Schau, wenn deine beste Freundin es dir nicht sagt, wer soll es denn sonst tun: Du bist ichbezogen und eigenbrötlerisch.«
Ich schaute in den Spiegel und wartete, dass meine allerbeste Freundin der letzten Monate sich dazu äußerte.
Da wurde mir blitzartig klar: So sehr liebte ich mich nun auch nicht!
Selbst ist die Frau
Es war nun volle drei Monate her, seit ich das erste Mal das Lebenshilfebuch zur Hand genommen hatte.
Viele Bekannte hörten ganz allmählich auf, welche zu lesen. Ich aber wusste, wenn ich sie mir abgewöhnen wollte, musste es mit einem Ruck geschehen. Danach musste
Weitere Kostenlose Bücher