ES: Eine Villa wird zur Leichenhalle (German Edition)
des Stadiums der Verwesung. Leichengeruch ist nicht gleich Leichengeruch und Kochfleisch ist nicht gleich Kochfleisch.“
„Da läuft’s einem ja schauerweise den Buckel runter, wenn du das so erzählst“, meinte Gregory sichtlich beeindruckt.
Gregory war aufgrund von Jan’s der Erzählungen aufgewühlt und konnte sich wahrscheinlich deswegen nicht kampf- oder tatenlos den Gegebenheiten unterwerfen. Eigentlich war er ein bequemer Mensch, faul wäre sogar das richtige Wort gewesen. Aber alles so zu lassen, wie es sich momentan für ihn darstellt, konnte Gregory auf gar keinen Fall zulassen. Er beschloss daher nach dem anstehenden Mittagessen auf Spurensuche zu gehen, vielleicht war der Leichengeruch nur das letzte Glied einer Abfolge ungewollter Ereignisse. Jan war sicht- und hörbar mit der Zubreitung des Mittagessens beschäftigt.
„Du solltest dich sputen“, meinte er. „Auch wenn du 10 Gedecke weniger einzudecken hasst, solltest du jetzt Gas geben!“ Angesichts der Uhrzeit war es klug, Jan’s Ratschlag kommentarlos zu befolgen und sich ans Werk zu machen. Di Lauros waren für ihre Pünktlichkeit bekannt und sie an einen ungedeckten Tisch zu setzen, zöge Konsequenzen übelster Sorte nach sich und das Risiko wollte Gregory um keinen Preis eingehen.
Es war exakt 3 Minuten vor eins, als die Küchentüre aufging und sie hereinkam. Er betrat das Esszimmer wie gewohnt durch die Türe zum Flur, die auch zum Wohnzimmer führt und sagte zu Gregory, dass er in die Küche gehen soll, um zu hören was seine Frau zu sagen hat. „Oh Gott“, dachte Gregory. „Jetzt knallt es aus allen Rohren, jetzt fliegt alles auf, jetzt ist alles zu spät, jetzt…“
„Da ist ‚Es’ ja auch“ trällerte sie in völlig ungewohnt frohgemuter Art, als Gregory die Küche betrat. „Vielleicht“, fuhr sie fort „hat sichs mittlerweile herumgesprochen, dass hier im Hause eine Party stattfinden wird.“
„Wann?“ wollte Jan wissen.
„Jetzt am Wochenende, also morgen Nachmittag gegen 16 Uhr werden die ersten Gäste eintreffen. Die Bewirtung übernimmt ein Catering-Service und Jan wird für das Essen zuständig sein. Keine Sorge, alles wird schon gegart angeliefert, es geht mit lediglich um die Präsentation und die Zufriedenheit der Gäste.“ Sie drehte den Kopf zu Gregory und endlich verstand er den Begriff, wenn jemandem ‚das Herz in die Hose rutscht’.“
„’Es’ wird das Cateringpersonal beaufsichtigen und nötigenfalls unterstützen. Ich habe dazu eine besondere Jacke aufs Bett gelegt, die ‚Es’ anprobieren möchte und mich umgehend zu unterrichten hat, falls die Jacke die falsche Größe besitzt.“ Dass sie ohne Anmeldung Gregorys Zimmer betrat, regte ihn schon lange nicht mehr auf. Das Zimmer war schließlich ihr Eigentum und Gregory offensichtlich auch.
„Sie wissen Bescheid, meine Herren. Ich werde meinem Mann nun Gesellschaft leisten, bevor er vor Langeweile anfängt mit dem Besteck Mikado zu spielen.“ Sie verließ den Raum und erschien wenige Augenblicke später im Esszimmer, wo sie Gregory schon auf Knien erwartete, um sie gebührend zu begrüßen. Diese Geste der Demütigung musste Gregory nicht zuvor in Anwesenheit von Jan vollführen und bewies seine Dankbarkeit dadurch, sie schon kniend zu erwarten, als sie das Esszimmer betrat. Das Mittagessen verlief insofern anders, als dass sich auch in dieser Situation neue Perspektiven, hinsichtlich der Art und Weise des Aufenthalts der Herrschaften ergaben. Auch bei der Einnahme des Mittagsmahls hatte Gregory zum ersten Mal das Gefühl, zwei Menschen zu betrachten. Ansonsten glaubte er gefühllose Maschinen zu sehen, die ein Glas oder das Besteck mechanisch zum Mund führten.
Nach dem Mittagessen begab sich Gregory in sein Zimmer, um diese Jacke anzuprobieren. Sie bestand aus Seide, hatte lange Ärmel, schmale vertikale Streifen auf der Vorderseite, die sich in den Farben gold und schwarz abwechselten und eine komplett schwarze Rückseite mit einer quer angebrachten Vorrichtung, wie man sie auch von BH-Trägern her kennt, die eine größen- und körpergerechte Anpassung ermöglichen. Gregory streifte das Chemisett ab und zog die Jacke an. „Endlich spürt man was im Rücken“, dachte er. Schultern? Passt. Ärmellänge? Passt. Umfang? Passt, ohne die Einstellmöglichkeit auf der Rückenseite der Jacke zu benutzen. „Wenns jetzt noch einen Reißverschluss gäbe, wäre die Jacke für ihn perfekt“, dachte er soeben. Aber den gab es leider nicht.
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