ES: Eine Villa wird zur Leichenhalle (German Edition)
Stattdessen galt es ca. ein Dutzend kleiner Knöpfe zu verschließen, aber dann saß die Jacke wie angegossen. Gregory betrachtete sich gerade im Spiegel, als sie das Zimmer betrat. Wie immer erschien sie ohne anzuklopfen und nur Gregory wunderte sich darüber, vorher nicht ein einziges Geräusch vernommen zu haben.
„Sitzt ja wie eine Maßanfertigung“, stellte sie anerkennend fest und betrachtete Gregory mit aufmerksamen Blicken. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand machte sie eine kreisende Bewegung im Uhrzeigersinn und forderte Gregory auf, sich zu drehen. Gregory kam der Aufforderung nach. Er streckte beide Arme aus und drehte sich mehrmals im Kreis. „Genug der Pirouetten!“ stoppte sie Gregorys Tanzeinlage. „Die Jacke passt tadellos, wie zu sehen ist. Also werden noch Weitere davon geliefert und stellen ab sofort die neue Garderobe dar.“ Ebenso grußlos wie sie kam, ging sie auch wieder. Gregory ließ sein Chemisett im Schrank verschwinden und gönnte sich noch einmal einen Blick in den Spiegel.
Sollte er zuerst Jan’s Aufmerksamkeit auf die neue Jacke lenken, oder seinen Plan verfolgen, der in seinem Kopf reifte? Eitelkeit zählt wohl alleine deshalb zu den Todsünden, um anderen Dingen den Vortritt zu verweigern. Gregory resümierte noch einmal, um eine strategisch kluge Vorgehensweise auszuarbeiten: Am Ende der Kette steht der Leichengeruch, der am Tag davor nicht zu bemerken war. Also muss am zweiten Tage etwas passiert sein, dass diesen Geruch hervortreten ließ. Theoretisch könnte demnach etwas geplatzt, oder irgendwo hängengeblieben und dann gerissen sein. Wenn irgendwo irgendwas beim Herausgeben aus dem Loch in der Wand, oder beim Transport zum Kleinbus hängengeblieben… „Quatsch“, sagte Gregory zu sich selbst und klatschte mit der rechten Innenhandfläche gegen seine Stirn. „Außerhalb des Hauses besteht kaum eine Möglichkeit irgendwo hängenzubleiben“, nuschelte Gregory vor sich hin. „Es muss, wenn überhaupt, in der Waschküche passiert sein.“ Da war sich Gregory sicher. Er ging zur Türe, schaltete das Licht aus, trat in den Flur und ging rechts herum zur Waschküche. Es war kein Waschtag, es war deutlich nach 13 Uhr und die Leute vom Reinigungsteam befanden sich im wohlverdienten Feierabend. Gregory hatte jetzt Zeit. Er schaltete das Licht in der Waschküche ein und betrachtete die Strecke von der Wand zur Tür mit der Präzision eines Scanners. Das Dumme war, dass er nicht wusste, wonach er suchen sollte. Seine Aufmerksamkeit verfolgte etwas völlig Abstraktes und selbst die Gewissheit, dass er irgendetwas finden könnte, war verschwindend gering. Sein Blick peilte die Strecke nun schon zum wiederholten Mal ab, aber bisher ohne Ergebnis. Gregory musste einsehen, dass er sich in etwas verrannt hatte und trat den Gang nach Canossa an, um Jan von seiner Pleite zu berichten. Gerade wollte er sich in Bewegung setzen, als ihm auffiel, dass das Szenario beim Abtransport der Leichen völlig anders gewesen sein musste, als das, auf das er schaute. Die Maschine war von der Wand gewinkelt, wie sonst käme man durch das dahinterliegende Loch. Gregory begann frischen Mutes von vorn. Licht an, hin zur Maschine, um diese dann zu sich zu schwenken. Etwas schien sich unter der Maschine mitzubewegen oder mitzurollen. Gregory schaute hin, aber konnte nichts sehen. Er stellte sich wieder an die Türe und betrachtete die neue Situation. Jetzt konnte er auf die wiederverschlossene Wand schauen. „So muss es sich Gestern auch dargestellt haben“, schoss es ihm durch den Kopf. Aber auch jetzt stellte sich kein Ergebnis ein, welches seinen Erwartungen entsprochen hätte. Gregory war nun gänzlich enttäuscht. Er ging schleppend nach vorne, legte seinen rechten Arm angewinkelt auf die Oberseite der Maschine und seinen Kopf auf den Arm. Er gab ein trauriges Bild ab. Diese Darstellung beinhaltete all seine zerplatzten und zerschmetterten Träume und Pläne. Kann es das gewesen sein? Quälte ihn das Schicksal so sehr, ihn all diese Strapazen überstehen zu lassen, um am Ende mit leeren Händen dazustehen? War es womöglich Gott persönlich, der ihn so leiden ließ? Keine Gnade, keine Barmherzigkeit und keine Gerechtigkeit? Gregory gab eine bedauernswerte Gestalt ab, wie er da so stand. Er stützte lediglich seine Stirn auf seinen angewinkelten Arm und seine Augen besaßen ein freies Blickfeld bis zum Boden. Da lag etwas. Er konnte es nicht genau erkennen und es muss wohl vom Sockel gefallen
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