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Es muß nicht immer Kaviar sein

Es muß nicht immer Kaviar sein

Titel: Es muß nicht immer Kaviar sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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ein drittes Mal. Dann rief er seine Sekretärin ins Zimmer: »Liebes Fräulein Sistig, bringen Sie mir doch mal den Akt Thomas Lieven.«
    Eine Viertelstunde später lag er vor ihm, ein großes schwarzes Kreuz war auf den oberen Deckel gezeichnet.
    Canaris öffnete den Deckel. Er las, was auf dem ersten Bogen stand …
    Köln, 4. Dezember 1940
    VON : ABWEHR KÖLN
    AN : CHEF ABWEHR BERLIN
    GEHEIM 135892/ VC /40/ LV
     
    Aus Lissabon zurückgekehrt, gestatte ich mir ergebenst, Herrn Admiral den Tod des Doppelagenten und Verräters Thomas Lieven, alias Jean Leblanc, zu melden …
    Lange Zeit saß Canaris reglos. Dann nahm er den Hörer ab. Die Stimme des Admirals klang sehr leise, sehr verhangen und sehr gefährlich: »Fräulein Sistig, verbinden Sie mich doch bitte mit der Abwehr Köln. Major Fritz Loos …«
    12
    An dieser Stelle unseres Berichtes halten wir es für richtig, völlig unwichtige Tage zu überspringen, jedoch von einem Abend zu erzählen, der harmonisch und unauffällig begann und dennoch allerschwerste Folgen haben sollte.
    Am stürmischen Abend des 28. Dezember 1940 hörte Thomas Lieven die 22.30-Uhr-Nachrichten des Londoner Rundfunks in französischer Sprache. Thomas hörte jeden Abend Radio London, ein Mann in seiner Lage mußte wohlinformiert sein.
    Er befand sich in Chantals Schlafzimmer. Seine schöne Freundin lag schon im Bett. Sie hatte das Haar hochgesteckt, und ihr Gesicht war ohne Schminke.
    Thomas hatte sie am liebsten so. Er saß bei ihr, und sie streichelte seine Hand, während sie beide der Stimme eines Nachrichtensprechers lauschten:
    »… rührt sich in Frankreich vermehrt der Widerstand gegen die Nazis. Gestern nachmittag flog auf der Strecke Nantes–Angers in der Nähe von Varades ein deutscher Truppentransport in die Luft. Die Lokomotive und drei Waggons wurden vollständig vernichtet. Mindestens fünfundzwanzig deutsche Soldaten wurden getötet, weit über hundert wurden zum Teil schwer verletzt.« Noch strichen Chantals Finger über Thomas Lievens Hand.
    »… als Vergeltungsmaßnahme haben die Deutschen sofort dreißig französische Geiseln erschießen lassen …«
    Chantals Finger hielten an.
    »… doch der Kampf geht weiter, und er hat eben erst begonnen. Eine gnadenlose Untergrundbewegung verfolgt und jagt die Deutschen bei Tag und bei Nacht. Wie wir aus zuverlässiger Quelle erfahren, fielen der Résistance in Marseille kürzlich gewaltige Mengen von Gold, Devisen und Wertgegenständen in die Hände, die aus Raub- und Plünderungsaktionen der Nazis stammen. Diese Mittel werden ausreichen, um den Kampf auszudehnen und zu erweitern. Das Attentat von Varades wird nicht das einzige bleiben …«
    Thomas war bleich geworden. Er ertrug die Stimme nicht mehr; er schaltete den Apparat ab. Chantal lag still auf dem Rücken und sah ihn an. Und plötzlich konnte er auch ihren Blick nicht ertragen.
    Er stöhnte auf und stützte den Kopf in beide Hände. Und in seinem Schädel dröhnte es: fünfundzwanzig Deutsche. Dreißig Franzosen. Über hundert Verwundete. Erst ein Anfang. Der Kampf geht weiter. Finanziert mit gewaltigen Mengen von Nazi-Gold und Nazi-Devisen. Erbeutet in Marseille … Unglück, Blut und Tränen. Finanziert durch wen? Durch wessen Hilfe?
    Thomas Lieven hob den Kopf. Immer noch sah Chantal ihn reglos an. Er sagte leise: »Ihr hattet recht – Bastian und du. Wir hätten das Zeug behalten sollen. Ihr hattet einen feinen Instinkt. Siméon und den französischen Geheimdienst betrügen – das wäre bei weitem das kleinere Übel gewesen.«
    »Bei allem, was wir bisher angestellt haben, ist noch nie ein Unschuldiger ums Leben gekommen«, sagte Chantal leise.
    Thomas nickte. Er sagte: »Ich sehe ein, ich muß mein Leben ändern. Ich habe altmodische Vorstellungen. Ich habe falsche, gefährliche Begriffe von Ehre und Treue. Chantal, weißt du noch, was du mir damals in Lissabon vorschlugst?«
    Sie richtete sich schnell auf. »Mein Partner zu werden.«
    »Von heute an, Chantal, bin ich’s. Ohne Gnade, ohne Mitleid. Ich habe die Schnauze voll. Ran an die Sore!«
    »Süßer, du sprichst ja schon wie ich!«
    Sie schlang die Arme um seinen Hals und küßte ihn wild.
    Mit diesem Kuß wurde ein sehr seltsames Bündnis besiegelt, eine Arbeitsgemeinschaft, über die man in Marseille noch heute spricht – und mit Grund. Denn zwischen Januar 1941 und August 1942 wurde der Süden Frankreichs von einem wahren Erdbeben, von einer Sturmflut krimineller Geschehen heimgesucht, die

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