Es muß nicht immer Kaviar sein
weiteren Gestapo-Verhören durch Selbstmord zu entziehen.
Er sagte still: »Weil ich nicht Captain Everett heiße, sondern Thomas Lieven.« Der alte Mann schloß die Augen.
»Weil ich nicht für London arbeite, sondern für die Deutsche Abwehr.«
Der alte Mann öffnete die Augen wieder und sah Thomas an mit einem Ausdruck abgründiger Traurigkeit.
»Und weil das ›Maquis Crozant‹ seit Monaten nicht mit London in Funkverbindung steht, sondern mit den Deutschen.«
Danach blieb es still in der Bibliothek. Die Männer sahen einander an.
Endlich flüsterte Débouché: »Das wäre zu furchtbar. Ich kann es nicht glauben, ich will es nicht glauben.«
In diesem Moment flog die Tür auf. Débouchés Assistentin Yvonne Dechamps stand im Rahmen, außer Atem, ungeschminkt, unter einem blauen Regenmantel nur wenig bekleidet. Das blonde Haar fiel ihr lose und breit auf die Schultern. Entsetzt aufgerissen waren die meergrünen Augen. Der schöne Mund zuckte. »Es ist wahr … Captain Everett … Sie sind es wirklich …«
Mit drei Schritten war sie bei Thomas. Débouché machte eine heftige Bewegung. Sie starrte Thomas an. Ihre Worte überstürzten sich: »Die Frau des Pedells rief mich an … Ich wohne auch hier … Was ist geschehen, Captain Everett, was ist geschehen?«
Thomas preßte die Lippen zusammen und schwieg. Plötzlich griff sie nach seiner Hand und hielt sie fest mit beiden Händen. Und erst jetzt wurde ihr bewußt, daß Débouché gebrochen dasaß, greisenhaft, verzweifelt.
»Was ist geschehen, Professor?« rief Yvonne in jäh hochschießender Panik.
»Mein Kind. Der Mann, dessen Hand du hältst, ist ein deutscher Agent …«
Langsam, ganz langsam trat Yvonne Dechamps von Thomas zurück. Sie schwankte, als wäre sie betrunken. Nun sank sie in einen Sessel. Professor Débouché berichtete mit heiserer Stimme, was ihm Thomas erzählt hatte.
Yvonne lauschte, ohne den Blick von Thomas zu nehmen. Immer dunkler wurden ihre grünen Augen, Haß und Verachtung erfüllten sie zuletzt. Die Lippen bewegten sich kaum, als sie sprach: »Ich denke, Sie sind das Gemeinste und Schmutzigste, was es gibt, Herr – Lieven. Ich denke, Sie sind der größte Schuft, Sie sind wahrhaft hassenswert.«
»Es ist mir egal, was Sie von mir denken«, sagte Thomas. »Ich bin nicht schuld daran, daß es nicht nur bei uns, sondern auch bei Ihnen so eitle, selbstsüchtige Idioten wie diesen Rouff und diesen Cassier gibt. Monatelang ging alles gut …«
»Gut nennen Sie das, Sie Schwein?«
»Ja«, sagte Thomas. Er fühlte, wie er immer ruhiger wurde. »Das nenne ich gut. Es wurde niemand erschossen in dieser Gegend seit Monaten. Kein Deutscher. Kein Franzose. Es hätte so weitergehen können. Ich hätte Sie alle beschützen können bis zum Ende dieses verfluchten Krieges …«
Yvonne schrie plötzlich, hoch und hysterisch wie ein Kind, sprang taumelnd auf und spuckte Thomas ins Gesicht. Der Professor riß sie heftig zurück.
Thomas fuhr sich mit einem Taschentuch über die Wange. Er sah Yvonne schweigend an. Sie hat recht, dachte er. Von ihrem Standpunkt aus hat sie recht. Alle haben recht, von ihren Standpunkten aus – auch ich. Denn ich will gegen alle anständig sein …
Yvonne Dechamps wollte zur Tür stürzen. Thomas riß sie zurück. Sie flog krachend gegen die Wand. Die Zähne gefletscht, keuchte sie ihn an.
»Sie bleiben hier.« Thomas stellte sich vor die Tür. »Als gestern abend die Namen durchkamen, verständigte die Abwehr sofort Berlin. Einsatz der Gebirgsjägereinheit, die vor der Stadt liegt, wurde angedroht. Daraufhin habe ich noch einmal mit dem Chef der Abwehr Paris gesprochen …«
»Warum?« fragte Professor Débouché.
Thomas schüttelte den Kopf: »Das ist meine Sache.«
Der Professor sah ihn seltsam an. »Ich wollte Sie nicht verletzen …«
Dieser Mann, dachte Thomas, dieser bewunderungswürdige Mann, beginnt zu begreifen, beginnt mich zu verstehen … Wenn ich Glück habe – wenn wir alle Glück haben …
»Ich habe Oberst Werthe vor Augen geführt, daß die Aktion der Gebirgsjäger zweifellos Opfer kosten wird – Opfer auf beiden Seiten. Unsere Leute werden entschlossen vorgehen. Ihre Leute werden sich verzweifelt verteidigen. Blut wird fließen. Menschen werden sterben. Deutsche und Franzosen. Die Gestapo wird die Gefangenen foltern. Sie werden ihre Kameraden verraten.«
»Niemals!« rief Yvonne.
Thomas fuhr herum. »Halten Sie den Mund!«
Der alte Mann sagte: »Es gibt
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