Es muß nicht immer Kaviar sein
zu stehen, vor einer der größten Künstlerinnen unserer Zeit.«
»Sie sind nett, Monsieur Leblanc.«
»Ich besitze alle Ihre Platten! ›J’ai deux amours‹ habe ich dreimal! Ich war in so vielen Ihrer Revuen …« Voll Verehrung sah Thomas Lieven die »Schwarze Venus« an. Er wußte, daß sie als Tochter eines spanischen Kaufmanns und einer Negerin in der amerikanischen Stadt St. Louis geboren worden war. Er wußte, daß sie ihre sagenhafte Karriere bettelarm begonnen hatte. Weltberühmt war Josephine Baker in Paris geworden, wo sie das Publikum zur Raserei brachte, als sie, mit einem Bananenkranz und sonst gar nichts bekleidet, ekstatische Tänze zeigte.
»Kommen Sie vielleicht aus Paris, Monsieur?«
»Ja, ich bin geflüchtet …«
»Sie müssen mir alles erzählen. Ich liebe Paris so. Ist das Ihr Wagen da vorne beim Tor?«
»Ja.«
»Sie sind allein gekommen?«
»Gewiß, warum?«
»Ich frage nur. Bitte, Monsieur Leblanc, folgen Sie mir …«
Das Schloß war mit antiken Möbeln eingerichtet. Thomas stellte fest, daß es eine ganze Menagerie beherbergte. Außer dem Affenweibchen »Glou-Glou« lernte er noch kennen: den äußerst seriösen Löwenaffen »Mica«, den winzigen, blitzschnellen »Gugusse« mit dem gesträubten Schnurrbart, eine enorme dänische Dogge namens »Bonzo«, die faule Pythonschlange »Agathe«, die sich vor dem kalten Kamin in der Halle aalte, den Papagei »Hannibal« und zwei kleine Mäuse, die Josephine Baker ihm als »Fräulein Haarwickel« und »Fräulein Fragezeichen« vorstellte.
Alle diese Tiere lebten in größter Eintracht miteinander. »Bonzo« lag auf dem Teppich und ließ sich buchstäblich von »Fräulein Fragezeichen« auf der großen Nase herumtanzen. »Mica« und »Hannibal« spielten Fußball mit einer kleinen Kugel aus Silberpapier.
»Eine glückliche Welt«, sagte Thomas.
»Die Tiere verstehen es, in Frieden zu leben«, sagte Josephine Baker.
»Die Menschen leider nicht.«
»Auch die Menschen werden es einmal verstehen«, sagte die Tänzerin. »Doch jetzt erzählen Sie von Paris!«
Thomas Lieven erzählte. Er war so fasziniert von dieser Begegnung, daß er vollkommen die Zeit vergaß. Zuletzt blickte er schuldbewußt auf seine goldene Repetieruhr. »Sechs Uhr, um Gottes willen!«
»Der Nachmittag war reizend. Wollen Sie nicht noch bleiben und mit mir essen? Ich habe allerdings nur wenig im Haus, ich war nicht auf Besuch vorbereitet. Auch mein Mädchen ist nicht da …«
Thomas strahlte jungenhaft: »Wenn ich noch bleiben darf? Aber dann müssen Sie erlauben, daß ich koche! Man kann auch aus wenigem delikate Dinge kochen!«
»Das stimmt«, sagte Josephine Baker. »Es muß nicht immer Kaviar sein.«
Die Küche war groß und altmodisch eingerichtet. In Hemdsärmeln handwerkte Thomas Lieven mit Feuereifer. Draußen versank die Sonne hinter der Hügelkette des Flusses, die Schatten wurden länger, der Abend kam.
Lächelnd sah Josephine Baker zu. Am meisten interessierten sie die pikanten Eier, die Thomas herstellte. »Madame, es handelt sich um eine eigene Komposition! Ihnen zu Ehren taufe ich sie hiermit Eier ›Josephine‹!«
»Vielen Dank. Ich werde Sie jetzt allein lassen und mich umziehen. Bis gleich also …« Josephine Baker verschwand. Bester Laune kochte Thomas weiter. Was für eine Frau, dachte er …
Als Thomas seine Arbeit beendet hatte, wusch er sich im Badezimmer die Hände und ging ins Speisezimmer. Hier brannten je zwölf Kerzen in zwei Leuchtern. Josephine Baker trug ein hautenges grünes Kleid. Sie stand neben einem großen, kräftigen Mann in einem dunklen Anzug. Das Gesicht des Mannes war von der Sonne verbrannt, sein kurzes Haar war an den Schläfen ergraut. Der Mann hatte gute Augen und einen guten Mund. Josephine Baker hielt seine Hand fest, als sie sagte: »Monsieur Leblanc, verzeihen Sie mir diese Überraschung, aber ich muß sehr vorsichtig sein.« Sie sah den Mann mit den grauen Schläfen voll Liebe an. »Maurice, ich möchte dich mit einem Freund bekannt machen.«
Der Mann im dunklen Anzug hielt Thomas die Hand hin. »Ich freue mich aufrichtig, Sie endlich kennenzulernen, Thomas Lieven. Ich habe schon viel von Ihnen gehört!«
Als so unerwartet sein echter Name fiel, erstarrte Thomas. Was für ein Wahnsinn, dachte er, nun bin ich also doch noch in die Falle gegangen.
»Oh«, rief Josephine Baker, »wie dumm von mir, Sie kennen Maurice ja noch nicht! Dies ist Maurice Débras, Herr Lieven, Major Débras vom ›Deuxième
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