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Es muß nicht immer Kaviar sein

Es muß nicht immer Kaviar sein

Titel: Es muß nicht immer Kaviar sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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mit einem verwitterten Restaurant zur ebenen Erde. Über dem Eingang hing eine Messingtafel in Form einer weiblichen Silhouette, und darauf stand:
    CHEZ
    JEANNE
    In einer engen, dunklen Loge fanden sie einen Portier mit brillantinefunkelndem Haar. Eine steile Treppe führte in den ersten Stock des Hotels empor. Der Portier sagte, Madame würde sogleich erscheinen. Wenn die Herrschaften vielleicht inzwischen im Salon Platz nehmen wollten …
    Im Salon gab es Kronleuchter, Plüsch und Pleureusen, Topfpflanzen, die verstaubt aussahen, ein Grammophon und einen großen Spiegel, der eine ganze Wand bedeckte. Es roch nach Parfüm und Puder und kaltem Zigarettenrauch.
    Ein wenig beklommen sagte Mimi: »O Gott, glaubst du, das ist hier ein …«
    »Mhm«, sagte Thomas.
    Puritanisch gequält sagte der Oberst: »Wir gehen ja gleich wieder!«
    Eine hübsche Frau von fünfunddreißig Jahren kam herein. Sie trug kurzgeschnittenes, löwenfarbenes Haar und war raffiniert geschminkt. Sie sah energisch aus, eine Frau, die das Leben kannte und die es – per saldo – sehr komisch fand. Die Dame hatte Formen, welche sofort das Interesse Thomas Lievens fanden.
    Die Stimme der Dame klang ein wenig heiser: »Willkommen, die Herrschaften. Oh, zu dritt! Reizend. Ich bin Jeanne Perrier. Darf ich Ihnen ein paar von meinen kleinen Freundinnen vorstellen?«
    Sie klatschte in die Hände.
    Eine rotseidene Tapetentür öffnete sich, und drei junge Mädchen kamen herein, unter ihnen eine Mulattin. Sie waren alle drei hübsch und alle drei nackt. Lächelnd marschierten sie zu dem großen Spiegel und drehten sich im Kreise. Die interessante Dame mit dem löwenfarbenen Haar sprach indessen: »Darf ich bekannt machen? Von links nach rechts: Sonja, Bébé, Jeanette …«
    »Madame«, unterbrach der Oberst schwach.
    »… Jeanette kommt aus Sansibar, sie hat …«
    »Madame«, unterbrach der Oberst stärker.
    »Monsieur?«
    »Hier herrscht ein Mißverständnis. Wir wollen Sie allein sprechen, Madame!« Der Oberst stand auf, trat zu Jeanne Perrier und fragte leise: »Was sagte die Ameise zur Grille?«
    Jeanne Perriers Augen verengten sich, als sie leise antwortete: »Tanze nur, tanze, im Winter wirst du bitterlichen Hunger leiden.« Danach klatschte sie wieder in die Hände und sagte zu den Hübschen: »Ihr könnt gehen!« Die drei verschwanden kichernd.
    »Sie müssen entschuldigen, ich hatte keine Ahnung …« Jeanne lachte und sah Thomas an. Er schien ihr zu gefallen. Mimi hatte plötzlich eine ärgerliche Falte auf der Stirn. Jeanne sagte: »Zwei Tage vor seinem Tod weihte mein Bruder mich ein. Er nannte mir auch die Erkennungssätze.« Sie wandte sich an Siméon. »Sie sind also der Herr, der die Tasche bringt. Aber der Herr, der die Tasche holen soll, hat noch nichts von sich hören lassen.«
    »Dann muß ich auf ihn warten. Es kann noch eine Weile dauern, bis er kommt. Seine Situation ist sehr gefährlich.«
    Thomas dachte: Und sie wird noch gefährlicher werden, wenn der Herr auftaucht. Denn er soll die schwarze Tasche nicht bekommen. Siméon hat sie jetzt. Er wird sie nicht behalten. Ich werde dafür sorgen. Ich werde verhindern, daß neues Unheil geschieht, daß noch mehr Blut fließt … Ihr hättet mich in Ruhe lassen sollen, ihr alle! Nun ist es zu spät, nun spiele ich mit – aber auf meine Weise!
    Er sagte zu Jeanne: »Madame, Sie wissen, Toulouse ist überfüllt. Könnten Sie uns nicht zwei Zimmer vermieten?«
    »Hier?« Mimi fuhr auf.
    »Mein Kind, es ist die einzige Möglichkeit, die ich sehen kann …«
    Thomas schenkte Jeanne ein werbendes Lächeln: »Bitte, Madame!«
    »Ich vermiete meine Zimmer eigentlich nur stundenweise …«
    »Madame, erlauben Sie, daß ich Ihrem Herzen einen ganz zarten patriotischen Stoß versetze?« erkundigte sich Thomas.
    Jeanne seufzte verträumt. »Ein charmanter Mieter – also gut.«
    4
    Der Major Débras ließ auf sich warten. Eine Woche verstrich, eine zweite – er tauchte nicht auf. Wie schön, dachte Thomas, alias Jean, wenn er überhaupt nie mehr auftauchen würde!
    Er begann, sich im »Chez Jeanne« häuslich einzurichten. Wann immer es seine Zeit erlaubte, ging er der appetitlichen Hotelbesitzerin mit dem löwenfarbenen Haar zur Hand.
    »Mein Koch ist mir davongelaufen, Jean«, klagte Jeanne ihrem deutschstämmigen Mieter, den sie für einen waschechten Pariser hielt und schon am zweiten Tag seiner Anwesenheit mit seinem hübschen Vornamen ansprach. »Und die Lebensmittel werden

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