Es muß nicht immer Kaviar sein
Maleratelier. Hier war es sehr hell. Ein riesenhaftes Fenster ließ grelles Sonnenlicht über Dutzende von ziemlich wüsten Bildern fallen, auf einen Tisch, der überladen war mit Farben, Tuben, Pinseln und Flaschen, auf volle Aschenbecher und auf einen Mann von etwa fünfzig Jahren, der vollkommen angezogen auf einer Couch schlief.
Der Mann hatte dichtes schwarzes Haar. Dunkle Stoppeln bedeckten seine bleichen, eingefallenen Wangen. Er schnarchte laut und rhythmisch. Vor der Couch lag eine leere Kognakflasche.
»Pereira!« rief Thomas Lieven. Der Bärtige reagierte nicht. »Pereira, he!« Der Bärtige schnarchte laut auf und warf sich zur Seite. »Na ja«, brummte Thomas Lieven, »dann wollen wir uns mal ums Mittagessen kümmern …«
Eine Stunde später erwachte der Maler Reynaldo Pereira. Drei Gründe gab es für sein Erwachen: Die Sonne schien ihm direkt ins Gesicht. In der Küche klapperte und rumorte es. Ein intensiver Geruch nach Zwiebelsuppe hatte sich verbreitet.
Mit belegter Stimme rief er: »Juanita?« Noch benommen erhob er sich, zog die Hosen hoch, stopfte das Hemd hinein und stolperte zur Küche. »Juanita, mein Herz, mein Leben, bist du zurückgekommen?«
Menu • 4. September 1940
Dieses Gericht bringt einen Paßfälscher in Höchstform.
Überbackene Zwiebelsuppe
Kalbsmedaillons in Madeirasauce
Brennende Eierkuchen
Überbackene Zwiebelsuppe:
Man schneide reichlich Zwiebeln in dünne Ringe und lasse sie in Butter oder Öl hellbraun braten. Dann gieße man heißes Wasser – etwas mehr, als man Suppe wünscht – darüber und lasse es fünfzehn Minuten kochen, salze nach Geschmack. Man kann auch Fleischbrühe verwenden. Inzwischen schneide man dünne Weißbrotscheiben, die man auf die vom Feuer genommene Suppe legt und dick mit geriebenem Käse bestreut. Der Topf wird dann in den heißen Backofen gestellt, bis der Käse eine leicht bräunliche Schicht gebildet hat. Hübscher ist es, wenn man für jede Person ein eigenes feuerfestes Schüsselchen benützen kann.
Kalbsmedaillons in Madeirasauce:
Man schneide schöne, dicke Scheiben vom Kalbsfilet, klopfe sie leicht und brate sie kurz auf beiden Seiten, so daß sie innen noch etwas rosafarben sind. Salzen darf man sie erst nach dem Braten.
Vorher hat man eine halbe Zwiebel, fünf Mandeln und eine Handvoll Pilze feinblättrig geschnitten und mit Öl oder Butter leicht angebraten. Darauf gieße man ein großes Glas Madeira und lasse alles fünfzehn Minuten ganz schwach kochen, würze mit Salz und Pfeffer. Diese Sauce gebe man über die eben gebratenen Kalbsmedaillons und reiche Pommes frites und grünen Salat dazu.
Brennende Eierkuchen:
Man backe ganz gewöhnliche, nicht zu dünne Eierkuchen, deren Größe dem Eßteller, auf dem sie serviert werden, entspricht, und bestreue sie dick mit Zucker. Bei Tisch gieße man einen ordentlichen Schuß guten Rums darüber und zünde ihn an. Dann rolle man den brennenden Eierkuchen und beträufle ihn mit Zitronensaft.
Er öffnete die Küchentür. Ein Mann, den er noch nie gesehen hatte, stand, eine alte Schürze umgebunden, am Herd und kochte.
»Bom dia«, sagte der Fremde und lächelte gewinnend. »Endlich ausgeschlafen?«
Der Maler begann plötzlich am ganzen Körper zu zittern, tastete zu einem Sessel und fiel schwer darauf. Er stöhnte. »Verfluchter Schnaps … Es ist soweit, es geht los …«
Thomas Lieven füllte ein Glas mit Rotwein, reichte es dem Erschütterten und legte ihm väterlich eine Hand auf die Schulter.
»Keine Aufregung, Reynaldo, es ist noch nicht das Delirium tremens – ich bin aus Fleisch und Blut. Jean Leblanc mein Name. Hier, trinken Sie ein Schlückchen, tun Sie was für Ihren armen Blutspiegel. Und dann wollen wir ordentlich essen.«
Der Maler trank, wischte sich die Lippen und ächzte: »Was machen Sie in meiner Küche?«
»Zwiebelsuppe überbacken, Kalbsmedaillons in Madeirasauce …«
»Sind Sie wahnsinnig geworden?«
»… und zum Nachtisch habe ich an Eierkuchen gedacht. Ich weiß doch, daß Sie Hunger haben. Und Sie brauchen eine ruhige Hand.«
»Wozu?«
»Um nach dem Essen einen Paß für mich zu fälschen«, sagte Thomas mild.
Reynaldo erhob sich und griff nach einer schweren Bratpfanne.
»Raus, Spitzel, oder ich schlage dir den Schädel ein!«
»Nicht doch, nicht doch, hier ist ein Brief für Sie.« Thomas wischte die Hände an der Schürze ab, griff in die Brusttasche seiner Jacke und holte ein Kuvert heraus, das er Reynaldo reichte. Der riß es
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