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Es muß nicht immer Kaviar sein

Es muß nicht immer Kaviar sein

Titel: Es muß nicht immer Kaviar sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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verlängert, sondern sich bei dem inzwischen verschiedenen Konsul Pedro Rodrigues gleich einen neuen ausstellen lassen.
    Thomas sagte: »Die Personenbeschreibung paßt auf meinen Freund, nur hat er braune Haare und blaue Augen.«
    »Dann müssen wir die Haarfarbe und die Augenfarbe ändern, die Fotos austauschen, auf dem Foto Ihres Freundes den Stempel ergänzen, den Ablauftag und den Ausstellungstag des Passes korrigieren und in den Stempeln und Visa alle Daten richtigstellen, die dann zu früh liegen.«
    »Der Name Puntareras?«
    »Will sich Ihr Freund längere Zeit in Lissabon aufhalten?«
    »Nein, er fliegt sofort weiter nach Dakar.«
    »Dann kann der Name bleiben.«
    »Aber er braucht doch ein Durchreisevisum für Lissabon und ein Einreisevisum für Dakar.«
    »Na und? Ich habe einen ganzen Schrank voll Stempel. Größte Sammlung Europas wahrscheinlich. Nein, nein, das ist ein kleiner Fisch!«
    »Was wäre denn ein großer gewesen?«
    »Ein Paß, in dem man alles ändern muß und das Foto auch noch einen Prägestempel trägt. Also, dazu hätte ich glatt zwei Tage benötigt.«
    »Und für Herrn Puntareras?«
    »Sie müssen meine schlechte Verfassung berücksichtigen, meine Unausgeglichenheit, mein Unglück in der Ehe – verdammt noch mal, aber in höchstens sieben Stunden kriege ich das Ding trotzdem hin!«
     
    Entspannt und leise summend begann Reynaldo Pereira das Werk. Er nahm einen konischen Metalldorn, der in einem Holzgriff steckte, eine Art Schusterahle, und führte ihn von der Fotoseite her durch die erste Öse des Paßbildes so weit ein, daß er festsaß. Dann begann er vorsichtig, die Rückseite der Öse mit einem feinen Federmesser aufzubördeln.
    Der Meister sprach: »Immer zuerst das Foto entfernen, damit nicht durch eine Ungeschicklichkeit beim Arbeiten der Gummistempel beschädigt wird.« Er erleichterte sich durch zartes Aufstoßen. »Wirklich phantastisch, Ihre Zwiebelsuppe!«
    Thomas saß reglos beim Fenster. Er gab keine Antwort, um den Meister nicht seiner Konzentration zu berauben.
    Zwei Ösen hielten Rafaelo Puntareras’ Foto fest. Nach einer dreiviertel Stunde hatte der Meister sie beide aufgebördelt. Vorsichtig drehte er die Metallröhren mit der Ahle heraus.
    Jetzt steckte er eine elektrische Heizplatte an, legte einen alten Buchdeckel darauf und den Paß auf diesen.
    Der Meister sprach: »Zehn Minuten durchwärmen. Wir nennen das: den Paß zum Leben erwecken. Das Papier wird weicher, elastischer, ist aufnahmefähiger für Flüssigkeiten, läßt sich in jeder Beziehung leichter bearbeiten.«
    Nach einer Zigarettenpause nahm sich Pereira den Paß wieder vor. Mit einer Pinzette faßte er eine Ecke von Herrn Puntareras’ Konterfei, über der sich kein Stempel befand, und hob sie äußerst vorsichtig einen Millimeter hoch. Danach befeuchtete er einen feinen Pinsel mit dem stark riechenden Inhalt eines Fläschchens.
    Der Meister sprach: »Als Pinsel verwende man nur feinste Dachs- oder Rotmarderhaarfabrikate, Größe Null.«
    Er tupfte die Flüssigkeit zwischen Foto und Paßseite, das Bild dabei mit der Pinzette abspreizend. Das Klebemittel wurde gelöst. Nach fünf Minuten hob der Meister das Foto ab und trug es zu einem weit entfernten Bücherbord. »Damit ich es nicht versehentlich beschädige.«
    Er kam zum Tisch zurück, schloß die Augen, lockerte die Finger, sammelte sich offensichtlich.
    Der Meister sprach: »Um ein erstes Verhältnis zu meinem Paß zu bekommen, beginne ich mit einer ganz leichten Veränderung: Ich entferne einen Punkt.«
    Er legte das Dokument unter eine große, feststehende Lupe. Einen neuen feinen Pinsel befeuchtete er mit einer wasserhellen Flüssigkeit.
    Im gleichen Moment, in dem er einen Tintenpunkt im Schriftbild der Personenbeschreibung benetzte, drückte er auf den Startknopf einer Stoppuhr.
    Er wartete, bis der Tintenpunkt beinahe ganz verblaßt war, dann saugte er die restliche Flüssigkeit blitzschnell mit der scharfgeschnittenen Kante eines Löschpapiers auf.
    »Drei Sekunden. Nun haben wir einen Anhaltswert. Mit der Vergleichszeit für einen Punkt können wir uns an einen Haarstrich wagen.«
    Er entfernte alle Haarstriche auf der einen Seite, indem er sie wie viele Punkte abtupfte. Dann machte er sich an die dickeren Grundstriche, die er entfernte, indem er sie von beiden Seiten zur Mitte hin mit der geheimnisvollen Flüssigkeit bestrich. »In der Branche nennen wir das: zum Kern hin arbeiten.«
    Nachdem er zwei Stunden lang »zum Kern hin« und

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