Es muß nicht immer Kaviar sein
auf, zog einen Bogen hervor und starrte ihn an. Nach einer Weile sah er auf. »Woher kennen Sie Luis Tamiro?«
»Unsere Lebenswege haben sich gestern abend im Spielsaal von Estoril gekreuzt. Der kleine, dicke Luis brachte mir die Nachricht, daß ein alter Freund von mir in Madrid in Bedrängnis geraten sei. Man hat ihm seinen Paß weggenommen. Darum braucht er einen neuen. Und zwar schnell. Luis Tamiro meint, Sie wären der richtige Mann. Ein wirklicher Künstler. Erste Klasse. Jahrelange Erfahrung.«
Reynaldo schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, kommt nicht mehr in Frage. Das habe ich auch Juanita gesagt. Juanita ist meine Frau, wissen Sie …«
»… und hat Sie verlassen, weil es Ihnen dreckig geht. Luis hat mir alles erzählt. Weinen Sie ihr nicht nach. Eine Frau, die einen Mann im Stich läßt, wenn es ihm dreckig geht, ist nichts wert. Passen Sie auf, wie die zurückkommt, wenn Sie wieder Geld haben.«
»Geld, von wem?«
»Unter anderem von mir.«
Reynaldo strich seinen Bart und schüttelte den Kopf. Er sprach wie ein Lehrer zu einem idiotischen Kind. »Hören Sie zu: Wir haben Krieg. Einen Paß nachmachen können Sie nur, wenn Sie das Wasserzeichenpapier dazu haben. Das müssen Sie aber jeweils in dem Land klauen, für das der Paß bestimmt ist …«
»Das weiß ich alles selber.«
»Dann werden Sie auch wissen, daß im Krieg so ein Papier nicht mehr reinkommt. Also kann man Pässe nicht mehr nachmachen. Also kann man sie nur noch fälschen. Und wie geschieht das?«
Die Madeirasauce kostend, antwortete Thomas: »Meist doch wohl so, daß man Menschen betrunken macht oder niederschlägt und ihnen dann ihren Paß fortnimmt, um ihn zu verändern.«
»Sehr richtig! Und sehen Sie, das mache ich nicht. Das ist bei mir nicht drin. Wenn ich nicht mehr ehrlich fälschen kann, dann überhaupt nicht. Ich bin Pazifist!«
»Genau wie ich. Sehen Sie mal zum Fensterbrett, da liegt ein Präsent für Sie.«
Reynaldo erhob sich und schwankte schwerfällig zum Fenster.
»Was ist das?«
»Das sind vier abgelaufene, vollgestempelte Pässe von Costa Rica. Drei gehören Ihnen, wenn Sie den vierten für mich verändern.«
Der Fälscher nahm einen der Pässe zur Hand, holte tief Atem und sah Thomas mit scheuer Bewunderung an. »Wo haben Sie diese Pässe her?«
»Gefunden. Heute nacht.«
»Sie haben heute nacht vier costaricanische Pässe gefunden?«
»Nein.«
»Aha.«
»Ich habe heute nacht nicht vier costaricanische Pässe gefunden, sondern siebenundvierzig«, sagte Thomas Lieven und holte dabei die überbackene Zwiebelsuppe aus dem Herd. »Das Essen ist fertig, Reynaldo.«
Und er dachte: Was für ein Glück, daß meine hübsche junge Konsulin so viele hübsche alte Pässe aufbewahrt hat!
Und er dachte: Jetzt bin ich also bei Herrn Pereira in der Rua do Poco des Negros gelandet. Jetzt werde ich also lernen, wie man fachgerecht Pässe fälscht. Ich – kürzlich noch der jüngste Privatbankier Londons. Ach du liebe Zeit, und ich kann und kann und kann das alles nicht im Club erzählen!
8
Aufgeschlagen lagen die vier Pässe auf dem großen Arbeitstisch beim Fenster. Sie zeigten Fotos von vier unterschiedlichen costaricanischen Staatsbürgern: einem dicken Alten, einem jüngeren Schlanken, einem mit Brille, einem mit Schnurrbart.
Neben den vier Pässen lagen die vier Fotos des Majors Débras vom französischen Geheimdienst, der in Madrid ungeduldig auf Hilfe wartete. Der kleine Luis Tamiro hatte die Fotos Thomas Lieven im Spielsaal von Estoril übergeben.
Das Mittagessen war vorüber. In seinem weißen Arbeitsmantel wirkte Reynaldo Pereira nun wie ein berühmter Chirurg, ein Sauerbruch der Paßfälschung, der sich konzentriert und nüchtern auf einen schwerwiegenden Eingriff vorbereitete.
Er sprach leise: »Sie kennen den Mann in Madrid persönlich. Sie wissen, wie er aussieht. Betrachten Sie die Fotos in den vier Pässen. Lesen Sie die Personenbeschreibung. Sagen Sie mir, welche am ehesten auf Ihren Freund paßt. Denn ich will natürlich den Paß nehmen, in dem ich am wenigsten verändern muß.«
»Das wäre dann wohl dieser hier.« Thomas wies auf den zweiten von links. Der zweite Paß von links lautete auf den Namen Rafaelo Puntareras.
Der Paß war am 8. Februar 1934 ausgestellt worden und hatte am 7. Februar 1939 seine Gültigkeit verloren. Er enthielt viele Visen und Grenzpolizeistempel; nur wenige Seiten waren noch frei. Darum hatte Kaufmann Puntareras den abgelaufenen Paß wohl auch nicht mehr
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