Es muß nicht immer Kaviar sein
lebhafter Funkverkehr zwischen Abwehr Berlin und deutscher Gesandtschaft Lissabon. Verkehr wird nicht chiffriert, sondern offensichtlich in irreführendem Klartext geführt. Berliner Funksprüche sind gerichtet an deutschen Handelsattaché Lissabon, der aufgefordert wird, dafür zu sorgen, daß »Kaufmann Jonas« schnellstens heimkehrt. Ohne Zweifel großes Entführungsmanöver in Vorbereitung. »Kaufmann Jonas« muß eine Persönlichkeit sein, die für Abwehr Berlin von allergrößter Wichtigkeit ist …
14
6. September 1940, 22 Uhr 30.
In der Casa Senhora de Fatima, dem komfortablen Haus des Nachrichtenchefs der Deutschen Gesandtschaft in Lissabon, findet eine Besprechung statt. Der Nachrichtenchef hat seine bezaubernde Freundin, die langbeinige, kastanienbraune Tänzerin Dolores, fortgeschickt. Bei Champagner sitzen zusammen: der Hausherr, der Marineattaché und der Luftwaffenattaché der Deutschen Gesandtschaft. Die beiden letzteren haben ihre Freundinnen ebenfalls für den Abend beurlaubt. Der Chef des Nachrichtendienstes spricht: »Meine Herren, die Zeit drängt. Berlin will Lieven – und zwar schnell. Bitte um Vorschläge.«
Der Luftwaffenattaché spricht: »Ich schlage vor, den Mann zu betäuben und nach Madrid zu fliegen. Von dort mit Kuriermaschine nach Berlin.«
»Ich bin dagegen«, sagt der Marineattaché. »Wir haben eben eine Panne in Madrid gehabt. Wir wissen, daß es auf dem Flughafen dort von englischen und amerikanischen Agenten nur so wimmelt. Wir wissen, daß dort jeder Passagier fotografiert wird. Wir können es uns nicht leisten, in Madrid schon wieder diplomatische Schwierigkeiten zu haben.«
»Ganz meine Meinung«, sagt der Nachrichtenchef.
Der Marineattaché spricht: »Ich schlage darum Entführung im U-Boot vor, meine Herren! Ich empfehle, sofort Funkverbindung mit Blockadebruch-Werner in Madrid aufzunehmen. Blockadebruch-Werner arbeitet mit dem Befehlshaber der U-Boote zusammen und kann die Standorte aller Einheiten ohne weiteres feststellen. Er kann jederzeit und schnellstens ein Boot für ein bestimmtes Planquadrat außerhalb der portugiesischen Hoheitsgewässer anfordern.«
»Wie bekommen wir Kaufmann Jonas zu dem U-Boot hinaus?«
»Wir mieten einen Fischkutter.«
»Und wie bekommen wir ihn in den Fischkutter?«
»Da habe ich einen Vorschlag zu machen.« Der Marineattaché sagt, was er für einen Vorschlag zu machen hat.
15
Ein alter Mann ging durch das Flughafenrestaurant und versuchte, Trachtenpuppen zu verkaufen, große Puppen, kleine Puppen. Er hatte kein Glück. Es war schon beinahe Mitternacht an diesem 8. September 1940, und nur noch rund zwei Dutzend müder Passagiere warteten auf den Abflug ihrer Maschine.
Der alte Mann trat an einen Tisch beim Fenster. Hier saßen zwei Herren, die Whisky tranken.
»Trachtenpuppen – Zigeuner, Spanier, Portugiesen …«
»Nein, danke«, sagte Thomas Lieven.
»Noch echte Friedensware!«
»Trotzdem nein, danke«, sagte Major Débras, der sich gerade Rafaelo Puntareras nannte.
Der alte Mann zog weiter. Draußen, auf der von Scheinwerfern angestrahlten Rollbahn, wurde die Maschine aufgetankt, die Débras von Lissabon nach Dakar bringen sollte.
Der Major sah Thomas Lieven sentimental an: »Ich werde nie vergessen, was Sie getan haben!«
»Sprechen Sie nicht davon!« sagte Thomas, und er dachte: Wenn du erst darauf kommst, daß ich die Agentenlisten deines Geheimdienstes gefälscht habe, dann wirst du es bestimmt nicht vergessen!
»Sie haben die Listen für mich gerettet – und Sie haben mich aus Madrid herausgeholt!«
Das ist richtig, dachte Thomas. Und deshalb wirst du mir vielleicht einmal doch meinen Betrug verzeihen. Er fragte: »Wo sind die Listen?«
Der Major blinzelte. »Ich bin Ihrem Beispiel gefolgt und habe mich mit unserer Stewardeß angefreundet. Sie hat die Listen in ihrem Gepäck.«
»Achtung, bitte«, sagte eine Lautsprecherstimme. »Pan American World Airways bitten alle Passagiere ihres Fluges 324 nach Dakar, sich zur Paß- und Zollkontrolle zu begeben. Meine Damen und Herren, wir wünschen Ihnen einen angenehmen Flug.«
Débras trank sein Glas leer und erhob sich. »Es wird ernst, mein Freund. Nochmals Dank! Und auf Wiedersehen.«
»Bitte, richten Sie Madame Josephine Baker meine besten Grüße und Wünsche aus«, sagte Thomas Lieven. »Und leben Sie wohl, Herr Major. Denn wiedersehen werden wir uns nie.«
»Wer weiß?«
Thomas schüttelte den Kopf. »Übermorgen läuft mein Schiff nach
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