Es muß nicht immer Kaviar sein
Konsulin Estrella Rodrigues in ihrem Schlafzimmer auf und ab. Sie sah erschöpft aus. Ihre aufreizend gewölbte Oberlippe zitterte.
Estrella war einem Nervenzusammenbruch nahe. Nicht eine Minute hatte sie in der vergangenen Nacht geschlafen, furchtbare Stunden lagen hinter ihr. Jean, ihr geliebter Jean, war nicht nach Hause gekommen. Sie wußte, daß er seinen geheimnisvollen Freund, diesen französischen Major, zum Flughafen gebracht hatte. Sie hatte mit dem Flughafen telefoniert. Aber dort wußte man nichts von einem Monsieur Jean Leblanc.
Vor ihrem geistigen Auge sah Estrella ihren Geliebten entführt, gefangen, gefoltert, in den Händen der Deutschen, tot! Estrellas Brust hob und senkte sich im Aufruhr ihrer Gefühle. Sie glaubte zu sterben, zu vergehen …
Plötzlich kam ihr zu Bewußtsein, daß noch immer das Radio lief. Sie blieb stehen; sie nahm zur Kenntnis, was die Sprecherstimme sagte:
»… rammte in den Morgenstunden des heutigen Tages die amerikanische Jacht BABY RUTH vor der Dreimeilenzone einen portugiesischen Fischkutter, welcher kenterte. Die Besatzung der Jacht nahm mehrere Schiffbrüchige an Bord. Zur gleichen Zeit orteten Einheiten unseres Küstenschutzes in der Nähe der Unfallstelle ein U-Boot, das sofort tauchte und die Flucht ergriff.
Captain Edward Marks, Kommandant der BABY RUTH , erstattete gegen den Steuermann des Fischkutters Anzeige wegen grober Gefährdung. Die drei Passagiere des Kutters, zwei Deutsche und ein Franzose …«
Estrella schrie auf!
»… verweigerten jede Auskunft. Es liegt der Verdacht nahe, daß es sich bei dem Vorfall um ein vereiteltes Entführungsmanöver handelt, in welches mindestens zwei ausländische Geheimdienste verstrickt sind. Eine Untersuchung wurde eingeleitet. Die BABY RUTH darf bis auf weiteres nicht auslaufen. Sie gehört der amerikanischen Millionärin Ruth Woodhouse, die seit einiger Zeit im Hotel ›Aviz‹ residiert. Sie hörten Nachrichten. Die Wetteraussichten für heute und morgen …«
Die Konsulin erwachte aus ihrer Erstarrung. Sie knipste das Radio aus. In höchster Eile zog sie sich an. Jean … Ihre Ahnung hatte sie nicht getrogen, es war etwas passiert, etwas Arges, etwas Grauenvolles … Wie hieß diese Millionärin?
Woodhouse. Ruth Woodhouse. Hotel »Aviz«.
20
Die weißen, buschigen Augenbrauen hochgezogen, betrat der Butler die Bibliothek der luxuriösen »Casa do Sul«. Sonor klang seine Stimme, als er dem Chef des britischen Nachrichtendienstes in Portugal meldete: »Senhora Rodrigues ist jetzt eingetroffen, Sir.«
Federnd erhob sich der Mann, der sich Shakespeare nannte. Federnd schritt er der schönen Konsulin entgegen, die nun ein hautenges weißes Leinenkleid, handbemalt mit Blumen und Vögeln in leuchtenden Farben, ein wenig zu viel Make-up und den Ausdruck eines gehetzten, vollschlanken Edelwildes trug.
Shakespeare küßte ihr die Hand. Der Butler zog sich zurück.
Der Chef des britischen Nachrichtendienstes bot Estrella Platz an. Außer Atem, heftig wogend, plumpste sie in einen kostbaren Sessel. Die Erregung verschlug ihr die Rede – ein seltenes Phänomen. Mitfühlend sagte der Mann, dem es gefiel, sich des Namens von Englands größtem Poeten zu bedienen: »Ich habe vor einer halben Stunde mit Mrs. Woodhouse telefoniert. Ich weiß, daß Sie sie aufgesucht haben, Senhora …«
Immer noch sprachlos, nickte Estrella.
»… Mrs. Woodhouse ist eine – hm – sehr gute Freundin von uns. Sie sagte mir, daß Sie in Sorge um einen – hm – sehr guten Freund leben?«
Estrella ahnte nicht, was sie mit ihren nächsten Worten anrichtete: »In Sorge um Jean, mein Gott, um meinen armen, unglücklichen Jean …«
»Jean?«
»Jean Leblanc – ein Franzose. Er ist seit gestern verschwunden … Ich bin schon halb wahnsinnig vor Angst. Können Sie mir helfen … Wissen Sie etwas von ihm? Sagen Sie mir die Wahrheit, ich flehe Sie an!«
Shakespeare wiegte vielsagend den Kopf.
»Sie verbergen mir etwas!« sprudelte die Konsulin hervor. »Ich fühle es. Ich weiß es! Seien Sie barmherzig, Senhor, sprechen Sie! Ist mein armer Jean in die Hände der elenden Hunnen gefallen? Ist er tot?«
Shakespeare hob eine Hand, die schmal und edel war und weiß wie Milch. »Nicht doch, verehrteste Senhora, nicht doch. Ich glaube, ich habe gute Nachrichten für Sie …«
»Wirklich, heilige Madonna von Bilbao, wirklich?«
»Wie es sich trifft, hm, hm, kam vor ein paar Stunden ein Herr zu uns, der sehr wohl jener sein
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