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Es muß nicht immer Kaviar sein

Es muß nicht immer Kaviar sein

Titel: Es muß nicht immer Kaviar sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Stunde – allerdings war es die schlimmste halbe Stunde in Thomas Lievens Leben. Mit gebeugtem Kopf saß er vor Lazarus, der an ihm tat, was man tut, wenn man gerupftes Geflügel absengt. In der rechten Hand hielt er die Kerze, deren Flamme Thomas Lievens Haarsträhnen ganz nahe der Wurzel abfraß. In der linken Hand hielt Lazarus einen feuchten Lappen. Mit ihm betupfte er immer wieder blitzschnell den Schädel, damit der Haut nichts passierte. Manchmal tupfte er trotzdem nicht blitzschnell genug …
    Thomas stöhnte vor Schmerz. »Paß doch auf, Idiot, verfluchter!« Darauf antwortete Lazarus mit dem Hinweis auf ein altes portugiesisches Sprichwort: »Wer Freiheit will, muß leiden, das läßt sich nicht vermeiden!«
    Endlich war die Tortur vorüber.
    »Wie sehe ich aus?« fragte Thomas erschöpft.
    »Wenn du dir Brot in die Backen stopfst und hübsch zuckst, wie mir aus dem Gesicht geschnitten«, antwortete Lazarus stolz.
    Sie schliefen beide außerordentlich schlecht in dieser Nacht.
    Am nächsten Morgen brachte ein fremder Wärter das Frühstück, denn es war Samstag, der 16., und am Samstag hatte, wir sagten es schon, der freundliche Juliao immer seinen freien Tag. Das war Lazarus natürlich schon klar gewesen, als er auf dem Entlassungsbefehl das Datum einsetzte. Der Bucklige nahm dem fremden Wärter das Frühstück in der Tür ab. Thomas Lieven schnarchte noch auf seiner Pritsche, die Decke über den Kopf gezogen.
    Nach dem Frühstück schluckte Lazarus drei weiße Pillen und legte sich auf Thomas Lievens Pritsche. Thomas zog den kurzen Mantel des Buckligen an und veranstaltete zwischen acht und zehn noch einmal eine private Generalprobe. Danach behielt er die Brotkugeln endgültig in den Backen und das dicke Kissen zwischen Rücken und Hemd. Er hatte es festgebunden, damit der Buckel nicht verrutschte. Gottergeben zuckte er vor sich hin …
    Um elf kam der fremde Wärter wieder. Lazarus schlief, die Decke über dem Kopf. Der fremde Wärter hielt einen Entlassungsschein in der Hand: »Lazarus Alcoba!«
    Mit durchgeknickten Knien erhob sich Thomas und zwinkerte den Wärter zuckend an. »Zu Befehl«, nuschelte er.
    Der Wärter musterte ihn aufmerksam. Thomas brach der Schweiß aus.
    »Sie sind Lazarus Alcoba?«
    »Jawohl!«
    »Was ist denn mit dem andern los, der pennt ja immer noch!«
    »Hat eine schlechte Nacht gehabt«, gab Thomas undeutlich bekannt. »Was wollen Sie denn von mir, Herr Wachtmeister?«
    »Sie werden entlassen.«
    Thomas griff sich ans Herz, stöhnte und sank aufs Bett. Er spielte den Überwältigten. »Ich habe immer gewußt, daß die Gerechtigkeit siegt«, nuschelte er.
    »Quatschen Sie nicht, kommen Sie mit. Los!« Der Wärter zog ihn hoch – zu hoch beinahe. Thomas sackte wieder in die Knie. – Verflucht, tut das weh! Na, es dauert ja nicht lange. – Er folgte dem fremden Wärter durch weite Korridore in den Verwaltungstrakt des Gefängnisses. Schwere Eisengitter wurden vor ihm auf- und nach ihm wieder zugeschlossen. – Das Zucken ist nicht so schlimm, das geht jetzt schon fast von selber. Aber diese durchgeknickten Knie … Wenn ich nur keinen Krampf bekomme, wenn ich nur nicht hinschlage …
    Treppen hinauf, Treppen hinab – das halte ich nie durch. Nie!
    Wieder Korridore. Der fremde Wärter musterte ihn: »Ist Ihnen heiß, Alcoba? Sie schwitzen ja so. Ziehen Sie den Mantel aus!«
    »Nein. Nein, danke. Es – es ist nur die Aufregung … Im Gegenteil – ich – ich friere …«
    Dann erreichten sie das Entlassungsbüro. Hier gab es eine Holzbarriere, die den Raum teilte. Hinter der Barriere arbeiteten drei Beamte. Vor der Barriere standen noch zwei andere Häftlinge, die entlassen werden sollten. Zweierlei sah Thomas sogleich: daß die Beamten faule Hunde waren und daß es vor der Barriere keine Sessel gab. Das kann ja gut werden, dachte er schwach. Eine Uhr an der Wand zeigte die Zeit: zehn Minuten nach elf.
    Fünf Minuten vor zwölf waren die Beamten mit den beiden Häftlingen immer noch nicht fertig. Vor Thomas Lievens Augen drehten sich bereits feurige Räder; er glaubte jeden Moment ohnmächtig zu werden, so wahnsinnig schmerzten die Knie, und nicht nur die Knie, auch die Waden, die Schenkel, die Knöchel, die Hüften. Unauffällig stützte er sich mit einem Ellbogen auf die Barriere, dann mit beiden. O Himmel, welche Erleichterung, welch süße Wonne …
    »He! Sie da!« kläffte der kleinste Beamte los. »Nehmen Sie gefälligst die Arme von der Barriere!

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