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Es war einmal eine Familie

Es war einmal eine Familie

Titel: Es war einmal eine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lizzie Doron
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laut, daß dieser Tote im Sarg nicht ihr Uri sei.
    »Mein Uri ist im Dienst, sogar Ascher hat gesagt, daß er bei der Armeeverwaltung ist«, sagte sie immer wieder.
    Und als der Sarg in die Grube gesenkt wurde, hörte man auf dem ganzen Friedhof den verzweifelten Aufschrei: »Mirjam! Ascher! Kommt endlich! Sagt ihnen, daß mein Uri lebt!«

Bei Sonnenuntergang

    Müde nach einer schlaflosen Nacht und einem Tag voller Sehnsucht verließ ich die Wohnung meiner Mutter und lief durch die Straßen des Viertels.
    Ein Ort, so vertraut und so fremd, dachte ich. Aus Müdigkeit und Schwäche entstand erneut die versunkene alte Welt.
    In der Stille hallte das Echo längst vergessener Rufe, von Alte-Sachen -Lejser, der alles auf seinen Wagen lud, was schon zu alt geworden war.
    In der Ferne hörte ich auch Jacek rufen: »Schleifer! Schleifer! Schleift billig Messer und Scheren!« Dann die Rufe von Herrn Fruchter: »Eis! Eis! Kommt schnell, bevor es schmilzt!« Und zwischen den einzelnen Rufen erfüllte das fröhliche Läuten der kleinen Kupferglocken des Eiswagens die Straße und das Klirren der Milchflaschen, die Kalman, der Milchmann, vor den Türen abstellte.
    Die Klänge von Jiddisch, Polnisch und Hebräisch schwirrten und vermischten sich in den Sträßchen.
    Wieder waren sie da, Efraim, der Lebensmittelhändler, Poliwoda, der Metzger, die alte, nervöse Soscha, Sarka Donner und Mirjam Lewinger.
    Hinter ihnen tauchten die Kinder von damals in den Straßen auf. Judale rief mit dem Megaphon die Kinder des Viertels zur Pfadfinderbaracke, Dovele spielte auf der Geige und Marian auf der Gitarre, Etan und Jossi hüpften mit den Kröten in den Pfützen herum, Malka und Chemda spielten Himmel und Hölle, und Roni las laut die Rede von Gorodish vor. »Ich wußte, unsere Männer sind aus Stahl und die Panzer – bloß Metall.«
    Vor dem Haus, in dem die Donners und die Lewingers gewohnt hatten, verharrte ich eine Weile, es fiel mir schwer, von dort wegzugehen.
    Ich wußte, daß Ascher nicht mehr singen würde. Nach dem Krieg versank er in ein schwarzes Loch, es wurde eine schwere Depression diagnostiziert.
    Ich schaute mich um: Der Hausanstrich war verblaßt, die Farbe der Fensterläden blätterte ab. Aus einem der Zimmer fiel blasses Licht, an der Wäscheleine bewegten sich alte Handtücher im Wind, strahlend weiße Bettwäsche und ein rosafarbenes Nachthemd.
    Im Garten vor dem Haus war die Erde trocken und rissig, aber zu meiner Überraschung entdeckte ich eine kleine Insel aus frischem grünen Gras.
    Während ich dieses Stückchen Rasen erstaunt betrachtete, ging im dritten Stock die Balkontür auf, und die alte Soscha leerte ihren Putzeimer aus. Das braune Wasser platschte auf die Erde und begoß den grünen Rasenfleck, genau an der Stelle, an der wir früher einmal gestanden und einem Lied gelauscht hatten.

    Ende des dritten Tages der Schiwa.

Der vierte Tag
    In den Morgenstunden
    Ich begann damit, die Wohnung aufzulösen und Sachen zusammenzupacken.
    Die Kleidungsstücke und Schuhe, die niemand mehr tragen würde, stopfte ich allesamt in große Müllsäcke. Aus dem Küchenschrank nahm ich das alte Service mit den angeschlagenen Tellern und die Töpfe, in denen früher Braten oder Suppe angebrannt waren, und stopfte sie ebenfalls in einen Müllsack. Dann wandte ich mich den Papieren zu, den Briefen und Büchern.
    Aus einer braunen Tüte, die meine Mutter in der Schublade neben ihrem Bett aufbewahrt hatte, zog ich ein Bündel alter Briefe und Postkarten.
    Eine Karte schmückte ein Judasbaum mit rosafarbenen Blüten, und auf der Rückseite stand in kleiner Schrift: »Für unsere Helena ein gutes neues Jahr, von ihren Arbeitskollegen.«
    Auf einer anderen Karte, älter und verblaßter, prangte der Arc de Triomphe. Im Januar 1965 hatte Mischa von dort herzliche Grüße an seine liebe Helena gesandt.
    Im selben Jahr hatte ihr jemand anderes eine Karte aus Jerusalem geschickt und versprochen: »In ein paar Tagen bin ich zurück und schaue bei Euch vorbei.« Seinen Namen hatte er nicht angegeben.
    Ich vertiefte mich in die alten Karten.
    Als ich für einen Moment den Blick hob, bemerkte ich in der Tür ein verlegenes altes Paar.
    Der Mann war mager und groß, er stützte seinen dürren Körper auf einen prächtigen Spazierstock, in der freien Hand hielt er eine zerknitterte Plastiktüte. Sein Gesicht war faltig, mittief eingesunkenen Augen, und sein Lächeln entblößte eine Reihe blitzender neuer Zähne, die weder zu seiner sonstigen

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