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Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Titel: Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Petruschewskaja
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den ganzen Tag und machte lange Haltepausen und kam schließlich auf der Station »Kilometerstein Vierzig« angekrochen, als es schon dunkel wurde. Der unglückliche Reisende fand sich am Rande eines Waldes wieder und krabbelte aus irgendeinem Grunde durch Schneewehen ins tiefste Dickicht hinein. Bald gelangte er auf einen festgestampften Pfad, der ihn in der Dämmerung zu einer kleinen Hütte führte. Er klopfte, es antwortete niemand. Er trat in die Vordiele und klopfte an die Tür. Wieder keine Antwort. Da trat er vorsichtig in die warme Hütte, zog Stiefel und Jacke aus, nahm die Mütze vom Kopf und sah sich um. Im Häuschen war es sauber und warm, eine Petroleumlampe brannte, als wäre gerade eben jemand aus dem Haus gegangen, und es standen Tasse, Teekessel, Brot, Butter und Zucker auf dem Tisch. Der Ofen war warm. Unser Reisender war durchgefroren und hungrig, deshalb schenkte er sich, laut um Verzeihung bittend, eine Tasse heißes Wasser ein und trank sie aus. Nach einigem Zögern aß er ein Stück Brot und legte Geld auf den Tisch.
    Unterdessen war es draußen ganz dunkel geworden, und der reisende Vater überlegte, was er tun sollte. Er kannte den Zugfahrplan nicht und riskierte sowieso, in den Schneewehen zu versinken, zumal große Mengen Neuschnee gefallen waren, der alle Spuren zugedeckt hatte. Da legte er sich auf die Bank und nickte ein.
    Er wurde von einem Klopfen an der Tür geweckt. Er setzte sich auf und sagte:
    Â»Ja, ja, bitte!«
    In die Hütte trat ein kleines, in zerfetzte Lumpen gehülltes Kind. Beim Eintreten blieb es unentschlossen am Tisch stehen.
    Â»Was ist denn das für eine Erscheinung?«, fragte der noch nicht ganz zu sich gekommene künftige Papa. »Wer bist du denn? Wo kommst du denn her? Wohnst du hier?« Das Kind zuckte mit den Schultern und sagte:
    Â»Nein.«
    Â»Wer hat dich hergebracht?«
    Das Kind schüttelte den Kopf, um den ein zerrissener Schal gewickelt war.
    Â»Bist du allein?«
    Â»Ich bin allein«, entgegnete das Kind.
    Â»Und deine Mama? Dein Papa?«
    Das Kind schniefte und zuckte mit den Schultern.
    Â»Wie alt bist du denn?«
    Â»Weiß ich nicht.«
    Â»Na gut, und wie heißt du?«
    Das Kind zuckte wieder mit den Schultern. Sein Näschen taute auf und tropfte. Es wischte sich die Nase mit dem Ärmel ab.
    Â»Warte«, sagte da der zukünftige Vater. »Für solche Fälle haben die Leute ein Taschentuch.«
    Er putzte dem Kind die Nase und zog es behutsam aus. Er wickelte den Schal ab, nahm ihm die Pelzmütze vom Kopf, die nach alten Leuten roch, und zog ihm das Mäntelchen aus, das warm, aber zerschlissen war.
    Â»Ich bin ein Junge«, sagte das Kind plötzlich.
    Â»Na, das ist ja schon was«, sagte der Mann, wusch dem Kind in einem Bottich die Hände, die ganz klein waren, mit winzigen Fingernägelchen. Das Kind ähnelte überhaupt einem alten Mann, manchmal auch einem Chinesen, und mit seinen geschwollenen Äuglein und seinem Näschen manchmal sogar einem Kosmonauten.
    Der Mann bewirtete das Kind mit süßem Tee und Brot. Es stellte sich heraus, dass es nicht allein trinken konnte, er musste es mit dem Löffel füttern. Vor Anstrengung geriet der Mann sogar ins Schwitzen.
    Â»So, und jetzt bring ich dich ins Bett«, sagte er schweißgebadet. »Auf dem Ofen ist es warm, doch da fällst du runter. Eiapopeia, was raschelt im Stroh, wer am Rande liegt und runterrollt, kriegt ’nen blauen Po. Ich leg dich auf die Truhe und stelle Stühle davor. Woraus soll ich dir bloß ein Bett bauen?«
    Der Mann suchte in der ganzen Hütte nach einer warmen Decke, fand aber keine und legte seine warme Jacke auf die Truhe, er zog seinen Pullover aus, um das Kind zuzudecken. Doch dann betrachtete er die Truhe. Vielleicht lag da was drin, irgendwelche Lumpen?
    Der Mann öffnete die Truhe und zog eine kleine blaue Seidensteppdecke heraus, ein Kissen mit Spitzen, eine kleine Matratze und einen Stapel kleiner Laken. Darunter lag ein Stapel feiner Hemdchen, ebenfalls mit Spitzen, dann noch warme Baumwollhemdchen und ein Bündel Strickhöschen, umwickelt mit einem blauen Band.
    Â»Oho, das ist ja eine ganze Aussteuer!«, rief der Mann erstaunt. »Allerdings gehört das einem andern Kind … Aber alle Kinder frieren gleichermaßen und haben gleichermaßen Hunger … Man muss mit anderen teilen!«, sagte der künftige

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