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Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Titel: Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Petruschewskaja
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Vater laut. »Man darf nicht zulassen, dass das eine Kind gar nichts hat, dass es in Lumpen gehen muss, während das andere Kind viel zu viel hat. Stimmt’s?«, fragte er.
    Doch das Kind war bereits auf der Bank eingeschlafen. Da richtete der Mann mit ungeschickten Händen ein prächtiges blaues Bettchen her, zog dem Kind ganz vorsichtig saubere Sachen an und legte es hin. Er selbst warf seine Jacke auf den Fußboden neben die Truhe, vor die er Stühle gestellt hatte, legte sich darauf und deckte sich mit dem Pullover zu. Bei all dem war der künftige Vater so müde geworden, dass er sogleich in tiefen Schlaf fiel, was ihm sonst nie passierte.
    Er erwachte von einem Klopfen.
    In den Raum trat eine Frau, von oben bis unten mit Schnee bedeckt, doch barfuß. Der Mann sprang schlaftrunken auf, verdeckte mit seinem Körper die Truhe und sagte:
    Â»Verzeihen Sie, wir haben es uns bei Ihnen gemütlich gemacht. Doch ich bezahle dafür.«
    Â»Verzeihen Sie, ich habe mich im Wald verirrt«, sagte die Frau, ohne auf seine Worte zu achten, »und möchte mich gerne bei Ihnen aufwärmen. Ich hatte Angst zu erfrieren, draußen ist ein richtiger Schneesturm. Darf ich reinkommen?«
    Der Mann begriff, dass diese Frau gar nicht die Besitzerin des Hauses war.
    Â»Ich stelle gleich den Teekessel auf«, sagte er. »Setzen Sie sich.«
    Er musste den Ofen mit Holz heizen und in der Vordiele nach dem Wasserfass suchen. Auf dem Weg dorthin fand er einen gusseisernen Topf mit warmen Kartoffeln und einen zweiten gusseisernen Topf mit Hirsebrei.
    Â»Gut, wir essen die Kartoffeln, den Brei heben wir für das Kind auf«, sagte der Mann.
    Â»Für welches Kind?«, fragte die Frau.
    Â»Für das hier.« Der Mann deutete auf die Truhe, wo das kleine Kind mit ausgestreckten Ärmchen in süßem Schlaf lag.
    Die Frau sank neben der Truhe auf die Knie und weinte plötzlich.
    Â»O Gott, da ist es ja, mein Kindchen«, sagte sie. »Ist es wirklich meins?«
    Und sie küsste den Rand der blauen Steppdecke.
    Â»Ihr Kind?«, fragte der Mann verwundert. »Wie heißt es denn?«
    Â»Ich weiß nicht, ich habe ihm noch keinen Namen gegeben. Diese Nacht hat mich so erschöpft, eine richtige Leidensnacht. Niemand konnte mir helfen. Niemand auf der Welt.«
    Â»Und was ist es, ein Junge oder ein Mädchen?«, fragte der Mann misstrauisch.
    Â»Das ist ganz egal: Ich werde es so oder so lieb haben.«
    Und sie küsste wieder den Rand der Decke.
    Der Mann betrachtete die Frau aufmerksam und entdeckte auf ihrem Gesicht tatsächlich Spuren von Leid, die Lippen waren aufgesprungen, die Augen eingefallen, und die Haare hingen wirr herab. Ihre Beine waren sehr dünn. Doch als einige Zeit vergangen war, hatte sich die Frau wohl aufgewärmt, sie wurde wie durch ein Wunder schön. Ihre Augen fingen zu strahlen an, die eingefallenen Wangen röteten sich. Nachdenklich betrachtete sie den unschönen, glatzköpfigen Jungen, der auf der Truhe schlief. Ihre Hände, die die Kante der Truhe umklammert hielten, zitterten.
    Auch das Kind veränderte sich. Es wurde immer kleiner und ähnelte jetzt einem alten Mann mit dicker Nase und kleinen Schlitzäugelchen …
    All das kam dem Mann seltsam vor – wie sich die Frau und das Kind zusehends veränderten, buchstäblich innerhalb einer Sekunde. Der Mann bekam einen Schreck.
    Â»Na, wenn es Ihr Kind ist, will ich Sie nicht länger stören«, sagte der verhinderte Vater und wandte sich ab.
    Â»Ich gehe, mein Zug fährt bald.«
    Er zog sich eilig an und ging hinaus.
    Es dämmerte schon, der Pfad war seltsamerweise sauber und festgetreten, als hätte nachts kein Schneesturm gewütet. Unser Reisender ließ das Häuschen bald hinter sich und kam nach einigen Stunden Weges zu genau solch einem Häuschen wie das vorhergehende und trat, ohne sich zu wundern und ohne anzuklopfen, ein.
    Die Vordiele sah genauso aus wie die andere, auch das Zimmer sah genauso aus, und auf dem Tisch stand ebenfalls ein heißer Teekessel und lag ein Brot. Der Wanderer war müde und durchgefroren, deshalb trank er schnell, ohne zu zögern, Tee, aß ein Stück Brot und legte sich erwartungsvoll auf die Bank. Aber keiner kam. Da sprang der Mann auf und stürzte zur Truhe. In der Truhe lagen wieder Kinderkleider, doch diesmal waren es Wintersachen – eine kleine Jacke, ein Pelzmützchen, sehr kleine

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