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Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Titel: Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Petruschewskaja
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»Wohlgenährt, gut gemacht, Mutti … Steh auf, Mädchen. So. Sehr schön.«
    Tröpfchen kletterte aus der Bohnenhälfte und ging auf und ab.
    Â»Nun wohl«, sprach der Doktor. »Was soll ich Ihnen sagen: Das Mädchen ist allerliebst, doch es gehört nicht hierher. Woher es kommt, weiß ich nicht. Hier findet es keine Gefährten. Hier ist nicht sein Platz.«
    Die Mutter antwortete: »Sie erzählt ja selbst, sie träume, dass sie von einem fernen Stern komme. Sie sagt, dort hätten alle Flügelchen gehabt und wären über die Wiesen geflogen, sie selbst auch, sie hätte Tau getrunken und sich von Blütenstaub ernährt, und sie hätten jemanden gehabt, so eine Art Vorsteher, der sie darauf vorbereitete, dass manche eines Tages zu Fuß gehen müssten, und sie hätten alle angstvoll darauf gewartet, dass ihre Flügelchen verschwänden – da hätte sie der Vorsteher auf einen hohen Berg geführt, dort hätte sich der Eingang zu einer Höhle geöffnet und Stufen hätten hinab geführt, und alle hätten den begleitet, dessen Flügel verschwunden wären, und er wäre hinabgestiegen und immer kleiner und kleiner geworden, bis er sich sozusagen in einen Tropfen verwandelt hätte …«
    Das Mädchen auf dem Tisch nickte.
    Â»Und eines Tages musste auch meine Schöne nach unten gehen, sie weinte, stieg die Treppe hinunter und an dieser Stelle bricht ihr Traum ab – sie erwachte bei mir auf dem Küchentisch in einem Kohlblatt …«
    Â»So«, sagte der Doktor. »Und was ist mit Ihnen, was ist mit Ihrem Leben los? Wie ist Ihre Krankengeschichte?«
    Â»Mit mir«, sagte die Frau, »was soll mit mir sein? Ich liebe sie mehr als mein Leben, eine schreckliche Vorstellung, dass sie wieder dorthin gehen könnte … Meine Geschichte ist so, dass mich mein Mann verlassen hat, ich hätte eigentlich ein Kind kriegen sollen, habe es aber nicht zur Welt gebracht … Mir ging es nicht gut … Ich bin zum Arzt gegangen, ich wurde in ein Krankenhaus eingewiesen, und dort haben sie das Kindchen in meinem Bauch getötet. Jetzt bete ich für das Kind … Vielleicht ist es dort, im Land der Träume?«
    Â»Gut«, sagte der Arzt, »ich habe alles verstanden. Hier haben Sie einen Zettel, den bringen Sie zu einem Mann … Er ist Mönch, lebt im Wald, er ist ein sehr seltsamer Mensch, und nicht immer findet man ihn. Vielleicht kann er Ihnen helfen, wer weiß.«
    Die Frau legte ihr Tröpfchen wieder in die Bohnenwiege, dann ins Kästchen, dann in die Brusttasche, steckte die Lupe ein und ging sogleich zum Einsiedler in den Wald.
    Sie fand ihn an der Chaussee auf einem Stein sitzend. Sie zeigte ihm den Zettel und deutete wortlos auf die Brusttasche.
    Â»Sie müssen sie dorthin zurückbringen, wo sie herkommt«, sagte der Mönch. »Und nicht nachschauen.«
    Â»Wohin zurück? In den Laden?«
    Â»Närrin! Wo kommt sie her?«
    Â»Vom Kohlfeld. Ich weiß nicht, wo es ist.«
    Â»Närrin!«, sagte der Mönch. »Wer sündigt, muss sich auch zu retten wissen.«
    Â»Wohin?«
    Â»Das ist alles«, sagte der Mönch. »Und nicht nachschauen.«
    Die Frau weinte, verbeugte sich, bekreuzigte sich, küsste dem Mönch den Saum seiner speckigen, stinkenden, zerlumpten Wattejacke und ging. Als sie sich eine Minute später umdrehte, sah sie weder den Mönch noch den Stein, auf dem er gesessen hatte, nur einen Nebelfetzen. Die Frau erschrak und rannte davon. Der Abend brach an, und sie lief immer noch über die Felder, und plötzlich erblickte sie ein Kohlfeld – noch ganz kleine Kohlknospen saßen in Reihen auf der Erde …
    Es nieselte, die Dunkelheit rückte heran, und die Frau stand da und hielt die Brusttasche fest und dachte, dass sie ihr Mädchen hier, in dieser Kälte und diesem Nebel, nicht alleine zurücklassen könne. Das Mädchen würde sich erschrecken und weinen!
    Da grub die Frau einen großen Erdklumpen mit einer Kohlpflanze aus, wickelte ihn in ihr Unterhemd und schleppte diese Last in die Stadt, zu sich nach Hause.
    Mit Ach und Krach und schwankend vor Müdigkeit kam sie zu Hause an, setzte den mitgebrachten Erdklumpen in ihren größten Kochtopf und stellte diesen Topf mit dem Kohlsetzling aufs Fensterbrett. Damit sie den Spross nicht sehen konnte, zog sie den Vorhang zu; doch dann überlegte sie,

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