Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
„Ich fürchte, ich habe nicht wie mein Sekretär über Sie gelesen“,sagte er, als er ihre Hand schüttelte und anschließend ihre Karte las. „Doch er sagte mir eben, dass Sie eine sehr berühmte Kriminalistin seien und bereits einige Aufsehen erregende Fälle gelöst hätten.“
„Ich bin nicht sicher, ob ich tatsächlich so berühmt bin“, erwiderte Francesca lächelnd. „Aber ich habe eine Reihe Fälle aufgeklärt. Dabei habe ich jedes Mal sehr eng mit der Polizei zusammengearbeitet, und auch diesmal unterstütze ich Commissioner Bragg. Würden Sie mir einige Minuten Ihrer Zeit schenken, Euer Ehren?“
„Natürlich“, sagte er strahlend. Mit einer einladenden Handbewegung bat er sie in sein Büro. Anders als das spartanische Vorzimmer war sein Büro holzgetäfelt, über eine ganze Wand erstreckte sich ein Regal, das lauter dicke Gesetzesbücher enthielt. Die zwei Fenster hinter seinem Schreibtisch gingen auf einen Platz zwischen den städtischen Verwaltungsgebäuden hinaus und eröffneten einen idyllischen Blick auf einen kleinen Park, den einige Fußgänger durchquerten, und auf die Pferde und Kutschen, die die Straße belebten.
Gillespie schloss die Tür hinter ihnen und bot ihr einen Platz an. „Also, wie kann ich Ihnen helfen?“
Francesca kam gleich zur Sache. „Kennen Sie Miss Daisy Jones, Euer Ehren?“
Ausdruckslos sah er sie an. „Ich kann mich nicht an den Namen erinnern. Er ist ungewöhnlich“, meinte er, „fast schon komisch, sodass ich mich erinnern würde, wenn ich ihn gehört hätte oder wenn ich Miss Jones begegnet wäre.“
Wenn man sein vorheriges lebhaftes Mienenspiel berücksichtigte, wirkte sein ausdrucksloses Gesicht seltsam, dachte sie. Sein Leugnen schien etwas angestrengt.
Ganz deutlich hatte sie das Gefühl, dass Richter Richard Gillespie Daisy Jones kannte. „Ich habe hier ein Bild von einem Zeitungszeichner. Vielleicht erkennen Sie sie darauf.“
Ohne Interesse nahm er die Tribune vom gleichen Morgen in Empfang, die Francesca ebenfalls am Bahnhof gekauft hatte. Auf der Titelseite war ein wunderschönes Bild von Daisy abgebildet, daneben stand die Schlagzeile „Prostituierte erstochen“. Jeder, der Daisy kannte, würde sie garantiert auf diesem Bild wiedererkennen.
Richter Gillespie betrachtete die Seite, und Francesca bemerkte, wie seine Hände zitterten. Er kannte sie – er log.
Rasch gab er ihr die Zeitung zurück. Deutlich blasser als noch vor einer Minute lächelte er sie an. „Ich fürchte, ich kenne Miss Jones nicht“, wiederholte er, wobei seine Stimme sehr angestrengt klang.
Francesca stand auf. „Euer Ehren, ich fürchte, ich glaube Ihnen nicht ganz“, sagte sie ruhig.
Erschrocken griff er nach der Schreibtischkante, erhob sich jedoch nicht.
Auf Francesca wirkte er verzweifelt. „Sie kannten sie, und ich vermute sogar gut“, sagte sie weicher. „Ich fand eine Schachtel mit Zeitungsausschnitten in ihrem Schlafzimmer, und in jedem einzelnen wurden Sie erwähnt, Euer Ehren.“
Er hielt sich weiter an der Schreibtischkante fest, seine Knöchel waren weiß. „Ich kannte Miss Jones nicht.“
„Sie wurde vor zwei Nächten brutal ermordet, Richter Gillespie. Ein grausamer Mensch stach mit einem Jagdmesser sechsmal auf sie ein. Ich werde ihren Mörder der Gerechtigkeit zuführen, doch ich brauche Hilfe. Wenn Sie sie kannten – und ich bin sicher, dass Sie das taten –, dann helfen Sie mir, ihren Mörder zu finden. Sie sind ein Richter. Sie haben Ihr Leben der Gerechtigkeit verschrieben!“
„Ich kannte sie nicht“, flüsterte er nachdrücklich, ohne ihr ins Gesicht zu sehen.
Langsam fühlte Francesca eine unbändige Wut in sich hochsteigen. „Nun, sie kannte jedenfalls Sie!“ Sie nahm eine weitereKarte und legte sie auf den Schreibtisch, direkt neben seine Hände. „Ich bin ziemlich sicher, dass die New Yorker Polizei mit Ihnen sprechen möchte. Was auch immer Sie wissen, wir müssen es erfahren.“ Sie zögerte. „Daisy hat es nicht verdient, zu sterben. Ihr Kind hat es nicht verdient, zu sterben.“
Er zuckte zusammen und sah zu Francesca auf. „Sie trug ein Kind in sich?“
„Ja.“
Stöhnend schlug Gillespie die Hände vors Gesicht. Seine Schultern zuckten. Überrascht begriff Francesca, dass er weinte. „Es tut mir leid“, sagte sie. „Ihr Verlust tut mir sehr leid. Doch bitte helfen Sie mir, damit ich ihren Mörder finden kann.“
„Vielleicht haben Sie recht. Ich glaube –“ Er stockte und konnte nicht
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