Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
weitersprechen.
„Was glauben Sie?“, fragte Francesca nach.
„Ich glaube, dass sie meine vermisste Tochter ist.“
11. KAPITEL
Mittwoch, 4. Juni 1902
12.00 Uhr
Trotz ihrer Verwirrung erfüllte Francesca Stolz. „Sie glauben, sie ist Ihre Tochter?“ War dies die Verbindung zu Daisys Vergangenheit, auf die sie gehofft hatte?
Gillespie schluchzte. „Sie sieht genauso aus wie Honora, doch Honora, sie … sie ging von zu Hause fort … vor vielen Jahren.“
Merkwürdigerweise war sich Francesca fast sicher, dass Gillespie von Anfang an gewusst hatte, dass Daisy Jones seine verschollene Tochter war. Von dem Augenblick an, als sie Daisy erwähnte, hatte sich sein Verhalten leicht verändert. Von nun an handelte sie nur noch instinktiv. Wenn er gewusst hatte, das Honora Daisy war, dann hatte er vermutlich auch gewusst, dass seine Tochter eine Prostituierte geworden war, überlegte Francesca. Doch sie war nicht sicher, ob er gewusst hatte, dass sie tot war. Denn die Nachricht hatte ihn aufrichtig erschüttert. Sie konnte sich gut vorstellen, warum er geleugnet hatte, Daisy zu kennen. Als Richter hatte er eine Reputation zu verteidigen. Sicher würde er nicht zugeben wollen, dass seine Tochter eine Straßendirne geworden war.
„Sir, wenn Daisy Ihre Tochter war, tut mir Ihr Verlust sehr leid“, sagte sie aufrichtig.
Er atmete tief durch. „Ich danke Ihnen.“
„Sie sind sehr aufgewühlt. Doch bevor Sie trauern, sollten wir klären, ob Daisy Jones wirklich Honora war.“
Sein Gesicht war aschfahl geworden. „Ich weiß, dass sie tot ist“, flüsterte er. „Ich weiß es einfach.“
„Weil Sie wussten, dass sie zu Daisy geworden war?“
Wie bei einem verstörten Kind mahlten seine Kieferknochen. „Das wusste ich nicht. Sie verließ uns ohne ein Wort. Es gab nicht einen einzigen Brief – mein Gott, es war, als ob sie uns hasste!“
Das verarbeitete Francesca erst einmal. „Darf ich mich setzen? Können wir versuchen zu klären, ob Daisy und Honora ein und dieselbe Person waren?“
„Ja, natürlich, genau das müssen wir tun.“ Plötzlich füllten sich seine Augen mit Tränen. „Martha, meine Frau, wie soll ich es ihr nur sagen?“
Geduldig wartete Francesca, bis er sich wieder gefasst hatte. Er schien sehr bestürzt über Daisys Tod, doch sie wusste, wie sehr der Anschein täuschen konnte. „Ich kannte Daisy“, nahm sie dann den Faden wieder auf.
„Sie kannten sie?“ Das überraschte ihn.
„Ja, aber nicht sehr gut“, erwiderte Francesca. „Ich habe sie bei einem Fall kennen gelernt. Sir, mir war immer klar, dass Daisy aus einem vornehmen Hause stammte. Von einer Freundin von ihr habe ich erfahren, dass sie vor acht Jahren zum ersten Mal in die Stadt kam, nachdem sie von zu Hause fortgelaufen war. Sie sagten gerade, dass Ihre Tochter Sie verlassen hat?“
„Honora ging mit fünfzehn von zu Hause fort. Das ist jetzt acht Jahre her – acht Jahre und zwei Monate. Sie verschwand im April.“
Das war der Beweis, dachte Francesca. Die Daten konnten kaum Zufall sein. „Daisys Freundin sagte mir, dass sie fünfzehn war, als sie zum ersten Mal in der Stadt auftauchte. Berücksichtigt man diese Daten und ihre Ähnlichkeit mit Honora, besteht wohl kaum ein Zweifel, dass Daisy Ihre Tochter war.“
Gillespie saß einfach nur da. Francesca wusste, dass sie ihn unter Druck setzen musste, doch das konnte warten. Seine Frau wusste noch nicht einmal von Daisys beziehungsweiseHonoras Tod.
Schließlich sagte Gillespie: „Es ist Honora. Diese Zeichnung in der Zeitung – sie zeigt meine Tochter. Ich habe ein Porträt von ihr, das an ihrem fünfzehnten Geburtstag gemalt wurde, nur zwei Monate bevor sie fortging. Sie werden es sehen.“
Francesca wollte ohnehin mit dem Rest der Familie sprechen. „Ich schaue es mir gern an, Euer Ehren.“
Plötzlich blickte er sie direkt an. „Ich möchte wissen, wer meiner Tochter das angetan hat“, rief er. „Ich möchte, dass der Mörder seine gerechte Strafe erhält.“
„Der Täter wird der Gerechtigkeit zugeführt werden, das verspreche ich“, sagte Francesca. „Sir, ich achte Ihre Trauer, aber leider muss ich Ihnen viele Fragen stellen, um den Täter zu finden. Es war eindeutig ein Verbrechen aus Leidenschaft. Jemand, der Daisy kannte, wünschte ihr den Tod und war sehr wütend, als er oder sie sie umbrachte. Ich fürchte, dass diese Ermittlung sehr persönlicher Natur sein wird.“
„Ich verstehe vollkommen“, sagte er. „Er oder sie? Sie glauben,
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