Es wird Dich rufen (German Edition)
gehörten, was könnte dann alles passieren? War es also besser, den Mund zu halten?
Niemand hier kannte Mike. Solange sich daran nichts änderte, war er eigentlich außer Gefahr.
Trotzdem machte Mike sich Sorgen.
»Was glauben Sie, Jean, wie wichtig sind diese Papiere heute noch? Wenn sie der Schlüssel zum Geheimnis sind, dann ist der Schatz doch sicherlich längst entdeckt und weggeschafft worden?«
»Wenn Sie an einen Schatz denken, so ist das wahrscheinlich«, stimmte der alte Mann zu. »Sie dürfen aber nicht vergessen, dass es auch um eine Sache gehen könnte, die sich nicht von hier entfernen lässt. Dann wäre der Schlüssel entscheidend!«
»Wie entscheidend?«
»Nun, zumindest so sehr, dass ich Gruppierungen kenne, die alles dafür tun würden, um ihn in ihre Finger zu bekommen. Und ich meine wirklich: alles.«
Genau das hatte Mike befürchtet.
Nun waren sie also doch wieder bei den Priestern angelangt, die vor rund hundert Jahren Opfer eines grausamen Mordes geworden waren. Mike spürte erneut eine undefinierbare Angst in sich aufsteigen, so sehr er mit seinem Verstand auch gegen sie anzukämpfen versuchte.
Es war einer jener unerfreulichen Momente, in denen sich die Gedanken selbstständig machten und in allen bestialischen Details ein Horrorszenario nach dem anderen in den Kopf zauberten.
Im schlimmsten Fall sah er sich schon mit Auftragskillern konfrontiert, die herausgefunden hatten, dass er die gesuchten Dokumente besaß und wo er sich aufhielt.
Jean schaute ihn unterdessen beinahe belustigt an.
»Was ist denn mit Ihnen los, junger Freund? Sie scheinen im Moment nicht ganz von dieser Welt?«
Eine Weile lang musterte Mike ebenso kommentarlos wie unentschlossen sein Gegenüber, ehe er wusste, was er nun tun musste. Seine Intuition riet ihm dazu – und auf seine innere Stimme konnte er sich verlassen. Wenn er auf sein Leben zurückblickte, dann hatte sie in den seltensten Fällen falschgelegen.
»Hören Sie, Jean«, entschloss er sich schließlich dazu, über alles zu sprechen, was ihn im Augenblick belastete. »Es wird Ihnen sicher merkwürdig erscheinen, aber ich kenne diese Manuskripte. Ein Mann hat sie mir gegeben. Ich denke, es sind die Originale …«
Nun war Jean erst recht amüsiert.
»Aha …«, lächelte er. »Deswegen brauchen Sie doch nicht so schockiert zu schauen. Wenn Sie wüssten, wie viele Leute diese Pergamente haben, junger Freund. Tausende! Sie gehören mittlerweile zum allgemeinen Standard für die unzähligen Schatzsucher, die dieses Dorf heimsuchen!«
»Zum Standard?« Mike war verwirrt.
»Diese Manuskripte sind so viele Male kopiert worden, nachdem sie Mitte des Jahrhunderts plötzlich an die Öffentlichkeit gelangten, dass sicher jeder Zweite gleich mehrere Exemplare davon besitzt. Es stimmt zwar, dass niemand weiß, wo die Originale sind – aber die Kopien sind bekannt.«
»Ja, aber die Originale …«
»Junger Freund«, schlug Jean einen freundschaftlichen, aber trotzdem mahnenden Ton an, dessen Ziel es war, Mike wieder zu beruhigen. »Selbst wenn Sie die Originale hätten, was ich nicht glaube, weil diese, wie gesagt, irgendwo in einem Banksafe deponiert wurden, was kann Ihnen schon passieren? Nichts! Glauben Sie mir!«
Was sollte diese plötzliche Kehrtwende? Warum hatte Jean ihm vor wenigen Minuten noch plastisch versichert, welch zentrale Rolle diese Manuskripte bei der Lösung des Rätsels spielten, dass sogar deren Besitzer sich permanent in Lebensgefahr wähnen mussten, während er nun darauf bestand, dass sie eigentlich längst bekannt und weit verbreitet waren? Was stimmte nun? Und überhaupt – was war mit den Abweichungen auf der Kopie, die Jean ihm gezeigt hatte?
»Wenn Sie allerdings mögen, dann sehe ich mir Ihre Pergamente einmal an«, bot Jean ihm an.
Mike überraschte dieser Vorschlag zwar ein wenig, er hielt die Idee aber tatsächlich für das momentan Beste. Jean sah schließlich nicht gerade wie einer aus, der ihm Übles wollte. Und möglicherweise konnte er dem alten Mann auch die Papiere anvertrauen. Dann war er sie los. Streng genommen gehörten sie sowieso nicht ihm.
»Sie sind in meinem Hotelzimmer«, sagte der Journalist. »Ich müsste sie schnell holen – oder wollen Sie mitkommen?«
Jean überlegte einen Augenblick. »Ich denke, ich werde Sie begleiten. Es kann nicht schaden, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Lassen Sie uns gehen.«
Die Beine vertreten? Mike musste, aller besorgten Gedanken zum Trotz, jetzt doch
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