Es wird Dich rufen (German Edition)
Alte mit erhobenem Zeigefinger. »Man muss allerdings den wahren Sinn kennen, um ihn auch tatsächlich verstehen zu können. Aber lassen wir das, kümmern wir uns lieber wieder um die Altarplatte, die der gute Abbé Saunière von seinen Arbeitern entfernen ließ. Dies war für ihn ein schicksalhafter Moment, denn die Arbeiter waren recht ungeschickt. Sie ließen die schwere Platte fallen. Dem Abbé kam somit das Glück zu Hilfe. Sie erinnern sich an seine Mission?«
»Selbstverständlich!«
»Die Platte fiel auf eine Stelle, unter der der Boden hohl war. Saunière bemerkte das sofort und schaute sich den aufgebrochenen Boden etwas genauer an. Es war nur ein kleines Loch, doch es machte ihm klar, dass sich darunter etwas befinden musste! Also wies er die Arbeiter an, dass sie die Bodenplatte ebenfalls herauswuchten sollten.«
»Und?«, fragte Mike gespannt.
»Tatsächlich war es so, dass unter der Steinplatte eine Treppe ins Dunkel hinabführte. Saunière war sich natürlich bewusst, dass er in diesem Moment womöglich gefunden hatte, wonach er suchte«, berichtete Jean. »Was fühlte er wohl in diesem Moment, junger Freund? Versetzen Sie sich in ihn hinein! Saunière war siegessicher, weil er annahm, auf weit mehr gestoßen zu sein, als jemals zu erwarten gewesen war. Bedenken Sie: Er sollte sich ja nur nach den von Abbé Bigou versteckten Hinweisen umschauen. Stattdessen legten seine Arbeiter einen Zugang unter die Kirche frei.«
Jean war wirklich ein hervorragender Erzähler. Mike klebte förmlich an seinen Lippen. Die anfänglichen Bedenken wegen der vielen Todesfälle waren inzwischen gänzlich verflogen und hatten einer immer größer werdenden Neugierde Platz gemacht.
»Was geschah dann?«, wollte Mike wissen – in der untrüglichen Annahme, die Antwort darauf schon zu kennen. Natürlich war Saunière die Treppenstufen hinabgestiegen, um nachzusehen, was er dort finden würde. Jeder hätte das getan!
»Einer der Arbeiter entdeckte in einer Nische relativ weit oben an der Treppe einen kleinen Topf mit Münzen. Saunière nahm ihn an sich und schickte die Arbeiter nach draußen! Gemessen an seinen geringen Finanzmitteln waren diese Goldmünzen natürlich ein willkommener Geldsegen, wie Sie sich sicher vorstellen können! Und selbstverständlich wollte er das Gold für sich behalten.«
»Das ging so einfach?« Mike dachte an die Zeugen für den Fund, die Bauarbeiter. Der Priester konnte den Schatz doch nicht so einfach für sich beanspruchen?
»Vergessen Sie nicht, dass wir es mit einem gewitzten und einfallsreichen Mann zu tun haben! Saunière hat später behauptet, dass in dem Topf nur ein paar wertlose Münzen gewesen wären – mehr nicht.«
»Und das hat man ihm geglaubt?«
Mike schüttelte fassungslos den Kopf.
»Er war der Priester! Und ganz abgesehen davon, es gab Wichtigeres als herauszufinden, ob der Abbé hier gelogen hatte oder nicht!«
Mike begriff. Natürlich, jetzt musste die Passage kommen, in der Abbé Saunière in die Dunkelheit hinabstieg und fand, was für seine Auftraggeber von größerem Wert war! Zumindest konnte es – schon rein aus dramaturgischen Gesichtspunkten betrachtet – gar nicht anders sein.
»Saunière besorgte sich eine Lampe, weil er sich ein Bild davon machen wollte, was noch unter der Bodenplatte verborgen war.«
»Wusste ich’s doch!«, sagte Mike triumphierend, während Jean eine weitere Fotografie aus seiner Tasche kramte. Im Gegensatz zu der anderen war diese bedeutend jünger. Sie zeigte eine steinerne Platte, auf der Mike ein Relief ausmachte, das in zwei Bereiche aufgeteilt war. Er erkannte darauf zwei Reiter, die auf einem Pferd saßen.
»Das hier ist die Rückseite der Steinplatte«, deutete Jean auf das Bild. »Was genau auf dem Relief abgebildet wurde, dafür gibt es bis heute leider keine vernünftige Erklärung. Saunière hat sie später ebenfalls in den Pfarrgarten legen lassen. Heute können Sie die Platte im Museum bewundern.«
Diese Randnotiz der Geschichte interessierte Mike nicht so sehr, weshalb er das Bild gleich wieder an Jean zurückgab, ohne sich weiter damit zu beschäftigen.
»Was hat Saunière denn nun da unten gefunden?«, drängelte Mike. »Gemach, gemach! Da kommt der Journalist in Ihnen zum Vorschein!«, lachte der alte Mann. »Wenden wir uns also der Treppe zu, die – wie wir heute wissen – in die Krypta der Grundherren von Rennes-le-Château führte. Die Gruft ist zwar Ende des 17. Jahrhunderts noch im Register der
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