ESCORTER (German Edition)
dem Band zu erkennen. Amir liebte den Anblick. Immer wieder strich er über die schimmernden Stellen, versuchte, die Dornen unter ihrer Haut mit Lippen und Fingern zu ertasten, bis sie durch ein leises Zischen erkennen ließ, dass es sie schmerzte. Dann lächelte er, genoss die Macht, die er über sie hatte. Desoderia hasste ihn dafür.
Seufzend versuchte sie, ihre Kräfte zu bündeln und Doreés Gegenwart zu ertasten. Seit dem Herzstillstand vom Tag zuvor wurde sie von den anderen misstrauisch beäugt. Niemand glaubte ihren Beteuerungen, dass es nichts zu bedeuten hatte, dass sie sich fit fühlte, dass der Blutverlust die Schuld trug. Und sie hatten recht. Desoderia wusste sehr genau, was es mit dem Herzstillstand auf sich hatte. Sie hatte Doreés Angst gespürt und ihren festen Willen, den Bann zu brechen. Niemals hätte sie es für möglich gehalten, dass es ihrer Tochter gelingen würde, dass sie über solche Willenskraft und Stärke verfügte. Trotz der eindeutigen Zeichen verbot sie sich, den Verlust von Doreés Jungfräulichkeit auch nur in Betracht zu ziehen, geschweige denn laut zu äußern.
Oliver und Olivia beobachteten jeden ihrer Schritte, ebenso Marina. Einzig Amir, der zu ihrem Missfallen darauf bestanden hatte, sie zu begleiten, blieb entspannt, wie es seiner Art entsprach. Lässig einen Arm über die Lehne der Limousine gelehnt, den Krawattenknoten gelockert, schlürfte er irgendeinen alten Weinbrand und lauschte Opernarien aus seinem iPod. Wäre die Situation nicht so beschissen und Desoderia nicht so erschöpft, hätte sie gelacht über sein klischeehaftes Verhalten.
»Sie ist ganz nah«, informierte sie Amir, der sein Glas schwenkte und fasziniert die goldbraune Flüssigkeit darin betrachtete. Desoderia konnte dem Gesöff nichts abgewinnen.
Er stoppte die Musik, richtete sich auf und stellte das Glas in die Halterung zu seiner Linken. »Wie lange noch?«
»Das kann ich nicht genau sagen, doch wir sollten sie innerhalb der nächsten halben Stunde finden.«
Oliver drosselte die Geschwindigkeit, fuhr im Schritttempo die Straße entlang. Der Lieferwagen, der ihnen folgte, verlangsamte ebenfalls das Tempo. Amir warf einen Blick aus dem Fenster in die fahle Morgendämmerung. »Es wird bereits hell. Wir sollten uns beeilen, bevor wir Zuschauer bekommen.«
Marina döste gegen die Fensterscheibe gelehnt vor sich hin. Nach Amirs Worten richtete sie sich auf und streckte sich.
»Vielleicht sollten wir bis zum Abend warten«, schlug Desoderia vor. »Die Dunkelheit gewährt uns Schutz und wir könnten uns noch ein wenig ausruhen. Wer weiß, was uns in dem Haus erwartet.«
Amir verzog verächtlich die Lippen. »Die Nacht schützt nicht nur uns vor fremden Blicken, sondern auch deine Tochter. Morgen ist ihr Geburtstag, vergiss das nicht. Wir dürfen keine Minute länger warten.«
Als könnte Desoderia das vergessen. Seit Doreés Geburt arbeitete sie auf diesen Tag hin. Allerdings hatte die Sache mittlerweile einen bitteren Beigeschmack. Wenn Doreé es nicht schaffte, den Manipulator an sich zu binden, dann würde er sie gewiss nicht freigeben. Er würde sie versklaven, sie vielleicht sogar töten. Damit wäre auch Desoderias Leben verwirkt. Das Kribbeln in ihrem Bauch verstärkte sich. Doreé war nah. Sie schloss die Augen und tastete mit ihren Sinnen die Häuser ab, die die Straße säumten. Nichts. Frustriert ließ sie ihren Blick über die Gebäude wandern. Doreé konnte nicht plötzlich verschwinden, nachdem sie ihre Nähe doch so deutlich gespürt hatte.
Amir trommelte ungeduldig auf dem Ledersitz herum. »Was ist? Wenn wir noch langsamer fahren, bleiben wir stehen.«
Nervös ballte Desoderia die Hände zu Fäusten. Sie musste Haltung bewahren, durfte sich ihre Unsicherheit nicht anmerken lassen. »Ich kann sie nicht spüren, aber sie ist hier irgendwo.«
»Du kannst sie nicht spüren?«, knurrte Amir. Seine Augen verengten sich. »Du trägst das Band, verdammt nochmal. Du musst sie spüren.«
Bevor Desoderia ausweichen konnte, rammte er seine Faust in ihren Bauch, drückte das Band tief in ihr Fleisch. Sie krümmte sich zusammen und blickte entsetzt zu ihm auf, während sie nach Luft japste. Etwas Warmes rann über ihre Haut.
Amir hob die Augenbrauen. »Nun? Kannst du sie wieder spüren oder soll ich dir noch ein wenig auf die Sprünge helfen?« Unbarmherzig drückte er seinen Zeigefinger in ihr Fleisch, schob einen Widerhaken tiefer hinein.
»Lass mich nachsehen«, keuchte sie.
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