Esel
dämliche Aktion allein übernehmen müssen. So sieht es aus.
»Ich werde dich natürlich nicht verpfeifen.«
Markus strahlt. »Darf ich dich in den Arm nehmen?«, fragt er.
Nein, das darfst du nicht. Das dürfen nur Karin und meine Mutter.
»Natürlich«, sage ich.
Hilfe! Hilfe! Hilfe!
Markus geht auf mich zu, legt die Taschenlampe ins Gras, wo sie nun einem einsamen Nachtkäfer den Weg in sein Loch leuchtet, und dann nimmt er mich in den Arm. Mir geht jetzt nur noch ein Gedanke durch den Kopf: Möge doch bitte ausgerechnet jetzt niemand in diesem bedingungslos verpennten Halverscheid auf die Idee kommen, einen Nachtspaziergang machen zu müssen, um dann dieses Bild vor Hildes Wildem Schnitzelparadies zu sehen.
Brokeback Mountain
in der Uckermark, um 2.34 Uhr.
37. Nachtgedanken und Frühstücksbier
Es ist unfassbar. Ich liege in meinem Zimmer, bin aufgewühlt wie selten zuvor und kann nur schwerlich begreifen, was in der letzten Zeit passiert ist. An Schlaf ist nicht zu denken, aber ich will auch nicht schlafen. Ich bin so angenehm aufgeputscht, voller Energie, mein Akku ist so voll wie sonst nur am letzten Tag in Lucca. Wo sich zur grenzenlosen Energie leider immer auch schon die Sehnsucht nach dem nächsten Sommer gesellt und dazu leider auch dieser unangenehme Magendruck wegen bevorstehender Klassenarbeiten, Klassenfahrten und Klassenwahnsinns.
Aber hier ist es anders. Ich denke nicht an morgen, nicht an die nächsten Ferien, schon gar nicht an mein Kollegium und meine Schüler. Ich denke nur darüber nach, was mit mir hier passiert ist. Ich spüre eine Veränderung, die ich nicht in Worte fassen kann.
Glückwunsch, Keppler – zu was auch immer!
Diese Nacht vor dem Imbiss war wie ein Kick. Sosehr ich auch Angst hatte, dass irgendwas schiefgeht, so sehr bin ich jetzt im Nachhinein fasziniert von dem, was geschehen ist. Ich bin über eine Grenze gegangen und habe dabei einen Menschen gesehen, der mir fremd vorkam. Dieser Mensch war ich. Und jetzt wird mir einiges klar. Ich habe mich selber kennengelernt, auf eine Art und Weise, an einem Ort, in einer Konstellation, die ich niemals für möglich gehalten hätte.
Ich bin glücklich. Mir geht es gut, mir geht es verdammt nochmal so gut, dass ich heulen könnte. Heulen vor Glück. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so ein Gefühl gehabt habe.
Wenn mich doch jetzt bloß jemand so sehen könnte. Björn Keppler, der Antilehrer, der Antimann, der Antianti. Ja, das hättet ihr alle nicht von mir gedacht.
Ich schaue auf das Handy. Es blinkt. Ein Anruf oder eine Nachricht, irgendwas wartet jedenfalls auf mich. Was auch immer es ist, es ist mir egal.
Tut mir leid Karin, diese Nacht gehört mir, ganz allein.
Es klopft an der Tür. Ich zögere, wahrscheinlich ist es Markus, der auch nicht schlafen kann. Ich stelle mich schlafend, man soll sein Glück nicht herausfordern. Es klopft erneut, mein simuliertes Schlafen scheint nicht sehr überzeugend zu wirken. Ich schaue auf die Uhr: 4.45 Uhr.
Klopf. Klopf. Klopf. Das kann nur Markus sein.
»Björn?«, flüstert eine Stimme hinter der Tür.
»Ja.«
Ich antworte, weil es nicht Markus’ Stimme ist.
»Alles in Ordnung?«
»Ja«, antworte ich.
Steffen scheint sich Sorgen gemacht zu haben. »Lust auf ein Bier?«
»Bist du noch auf oder schon wieder?«
»Spielt das eine Rolle?«
»Nein.«
»Sollen wir unten weiterreden, oder soll ich lieber hier auf dem Flur bleiben?«
»Ich komme.«
Was ist das bloß für ein Trip? Ich stehe auf, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres, als um diese Zeit aufzustehen, nach dieser Nacht, nach dieser Erfahrung, nur um ein Bier zu trinken. Aber es fühlt sich gut, es fühlt sich so wahnsinnig gut an. Weiß der Teufel, warum.
Wir sitzen nun vor der Luisenmühle und warten darauf, dass die Uckermark sich aus ihrer grauschwarzen Schabracke quält, um sich in ein touristisch attraktiveres Licht zu stellen.
Steffen und ich haben uns in eine Hollywoodschaukel gelümmelt, die noch nie schick war und bei jeder Bewegung quietscht, als wäre die gesamte Konstruktion aus den Scharnieren und Planken eines alten Piratenschiffes gezimmert.
Wir schauen nach vorne und strahlen wie kleine Kinder.
»Schön, oder?«
»Mhm.«
Steffen und ich prosten uns zu. Dass ein Bier um diese Zeit schmecken kann, war mir nicht mehr bewusst. Zum Morgengrauen gehört Kaffee und sonst nichts. Aber dieses Bier hier schmeckt himmlisch.
Der Blick auf den erwachenden Morgen
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