Eskandar: Roman (German Edition)
die Miete nicht mehr zahlen konnte.
Auch in den billigeren Wohngegenden sucht Eskandar-Agha, kann ihn aber auch dort nicht finden. Also macht er sich auf den Weg zur Raffinerie, und auch dorthin geht er zu Fuß, um Geld zu sparen und um unterwegs noch mehr Motive zu finden, die er fotografieren kann.
Als er die Türme, die großen, runden Depotcontainer, die Gebäude und Rohre der Raffinerie von Weitem sieht und der Geruch von Petroleum in seine Nase steigt, wird es Eskandar-Agha schwer ums Herz. Er muss an das Lager der Farangi denken, an seinen kanadischen Freund, an Tajelmoluk, Frau-Rohan, seine Roxana und auch wieder an die schöne Mahrokh-Khanum.
Ein halbes Jahrhundert lang bin ich nun in dieser Welt, das ist eine lange Zeit, überlegt Eskandar-Agha, setzt sich an den Straßenrand und notiert rasch ein paar Zeilen in seinen Block: Aus meiner Vergangenheit sind mir nur einzelne Bilder geblieben, nicht mehr als Bruchstücke. Als wäre es nicht mein Leben, sondern das eines Fremden, als wäre es eine Geschichte, die ein anderer mir erzählt hat. Es ist gut, dass ich mir alles aufschreibe, damit die Erinnerung nicht vollständig verloren geht.
Es ist erst kurz nach Mittag, so kommt es Eskandar-Agha gelegen, dass er nah bei der Raffinerie, gleich neben der Straße eine große Tafel entdeckt, auf der mit schlechter Handschrift geschrieben steht: Das beste Essen der Welt, und in kleinerer Schrift darunter: Speisen nach jedem Geschmack.
Bruder, Sie haben Glück, begrüßt der Wirt ihn. Heute gibt es Mahipolo. Sie werden sehen, es ist der beste Fisch mit Reis, den Sie jemals gegessen haben.
Mahipolo?, Eskandar-Agha wundert sich, aber das ist ja meine Lieblingsspeise. Aber ich muss Sie enttäuschen, niemand kann Mahipolo so gut kochen wie meine Frau. Eskandar-Agha zieht die Schuhe aus, setzt sich auf den Boden an einen Platz am Fenster und reibt seine müden Füße.
Ich mache Ihnen ein Angebot, sagt der Wirt. Sollte unser Mahipolo Sie nicht überzeugen, verlange ich kein Geld dafür.
Doch schon beim ersten Löffel, den er sich in den Mund schiebt, muss Eskandar-Agha zugeben, diese Wette gewinnt der Wirt. Anders als der Fischreis seiner Aftab-Khanum ist dieser scharf gewürzt. Der Fisch schwimmt in einer kräftigen Soße, die den Reis nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig tränkt und ihm dadurch eine besondere Frische verleiht. Eskandar-Agha verschlingt sein Essen mit einer solchen Eile, dass es ihm leidtut, als er seinen leer gegessenen Teller sieht und nun nichts mehr zum Genießen hat.
Belustigt beobachtet der Wirt den leeren und mit Brot sauber gewischten Teller und den sehnsüchtigen Blick seines Gastes und sagt, es freut mich, wenn mein Essen Ihnen schmeckt. Wenn Sie es wünschen, bringe ich Ihnen eine zweite Portion, für die ich nur den halben Preis verlangen werde.
Statt zu antworten, nickt Eskandar-Agha freudestrahlend und nimmt einen großen Schluck von seiner gesalzenen Buttermilch mit Eis.
Eine zweite Portion von unserem köstlichen Fisch für den Herrn, von dem wir noch nicht wissen, woher er stammt, ruft der Wirt quer durch den ganzen Raum in die Küche.
Kommt sofort, und Gottes Segen dazu, schallt es aus der Küche zurück.
Das ist jetzt aber peinlich, sagt Eskandar-Agha, nun wird jeder mich für einen Vielfraß halten. Eskandar-Agha sieht sich um, aber keiner der Gäste im gut gefüllten Speisesaal beachtet ihn, und wenig später weiß er auch, warum.
Aus einer anderen Ecke nämlich ruft der Wirt, dreimal die zweite Portion von unserem köstlichen Fisch mit Reis für die Reisenden aus Khorassan, der alten Hauptstadt unseres geliebten Vaterlandes.
Warum tun Sie das?, fragt Eskandar-Agha, als der Wirt ihm seine zweite Portion Fischreis bringt.
Während er lauthals lacht, streichelt der Wirt seinen kugelrunden Bauch. Zu viel Lauferei ist nicht gesund für mich, das macht mich hungrig. Ich esse zu viel, werde noch dicker und kann mich weniger um meine Gäste kümmern. Außerdem unterhalte ich mich und meine Gäste, und es sind schon Freundschaften und sogar Geschäftsbeziehungen in meinem Lokal entstanden, erklärt der Wirt. Sie sehen, es gibt viele Gründe, das Leben stets so leicht wie möglich zu nehmen und nicht mehr als unbedingt nötig zu arbeiten.
Das muss ich mir aufschreiben, sagt Eskandar-Agha, stürzt sich auf sein Essen und spricht mit vollem Mund weiter. Und wenn Sie gestatten, werde ich anschließend auch eine Fotografie von Ihnen und Ihrem Lokal machen.
Der Wirt nimmt sein
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