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Essen mit Freunden - Roman

Essen mit Freunden - Roman

Titel: Essen mit Freunden - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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oder nicht. Sie war hier die Chefin. Sie brauchte nicht anzuklopfen und nicht zu warten. Ihr gehörte der Laden. Die Hierarchien waren klar: Sie war die Hierarchie! Und Luise war schuld an allem, was im Berg'schen Büro schieflief. Das war an diesem Vormittag der Adressverteiler, der sich ohne Vorankündigung von der Berg'schen Compu
terfestplatte verabschiedet hatte und nicht mehr auffindbar war. Luises Erklärung, dass sie weder am Computer ihrer Chefin noch an einem der Netzwerk-Computer gearbeitet hatte und dass auch die beiden Honorarkräfte, die heute zum Tippen ins Büro gekommen waren, keinen Zugang zur Festplatte hatten, wurde von Frau Berg weggewischt durch die Feststellung: »An mir liegt das jedenfalls nicht. Und wenn die Datei bis morgen nicht wieder im System aufgetaucht ist, können Sie Ihr Wochenende mit dem Eintippen der Adressen verbringen.« Unter weiteren Äußerungen wie »alles Amateure hier« und »Ihre nächste Vertragsverlängerung muss ich mir gut überlegen« war Frau Berg wieder hinausgerauscht.
    Â 
    Wie lange saß sie nun schon hier? Eine Viertelstunde, eine halbe? Luise hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Sie stellte die Rolle Toilettenpapier zurück auf den Spülkasten, dankbar für jede Minute, die sie ungestört geblieben war. Hoffentlich hatte Frau Berg in der Zwischenzeit nicht kontrolliert, ob sie an ihrem Platz war. Erneut erklangen Schritte auf dem Flur. Ein zaghaftes Klopfen an der Tür folgte. Sie hielt den Atem an.
    Â»Luise?«
    Ihre Lungenflügel begannen zu beben, als sie Oles Stimme erkannte.
    Â»Ist alles okay mit dir?«, flüsterte er durch die Tür.
    Ihr Schluchzen flammte wieder auf und war so herzzerreißend, dass es draußen zu hören war.
    Â»Pass auf: Ich brauche ungefähr eine Stunde, bis ich das Chaos, das sie auf ihrer Festplatte angerichtet hat, in Ordnung gebracht habe«, sagte er leise. »Dann habe ich frei und gehe. Und du kommst mit.«
    Â»Aber ich kann doch nicht …«, begann sie zu widersprechen.
    Â»Natürlich kannst du. Du hast neulich gesagt, dass du noch Überstunden offen hast. Putz dir die Nase und pack deine Sachen. Wenn ich fertig bin, komme ich in dein Büro und hole dich.«
    Ohne ihre Antwort abzuwarten, verschwand er.
    Â 
    Wie gern wäre Luise einfach nur weiter mit Ole durch die Stadt gefahren. Nebeneinandersitzen, reden und schweigen. Sie fühlte sich wie eine Schiffbrüchige, die von ihrem Helden auf sein Boot gerettet worden war. Der Verkehr um sie herum klang wie Brandung, und mit der Autolüftung auf höchster Stufe war die Temperatur im Wagen beinahe karibisch. Langsam beruhigte sie sich.
    Â»Judith freut sich, dass du mitkommst. Sie hat mir vorhin eine SMS geschrieben. Und eine Überraschung gibt es auch noch. Meinte sie zumindest«, sagte Ole fröhlich.
    Â»Eine Überraschung, wie schön!« Luises Unterton klang skeptisch. Eigentlich war ihr der heutige Ausraster von Frau Berg Überraschung genug. Die Vorstellung, dass die Kinder in der Kita eventuell irgendein Lied eingeübt hätten, das sie atonal und voller Inbrunst vortragen wollten, überforderte Luises Geduld gerade etwas. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, Oles Angebot eines Mittagessens im vertrauten Familienkreis anzunehmen.
    Sie fuhren durch die Siedlung. Bunte Reihenhäuser mit hübschen Vorgärten fädelten sich an der Straße entlang wie Holzperlen auf einer Kinderkette. In einigen Gärten lagen noch die Kürbisse von Halloween, in anderen wanden sich bereits die ersten Lichterketten in den Bäumen. Alle Straßen
trugen ornithologische oder botanische Namen. Luise verlief sich jedes Mal, wenn sie Ole und Judith besuchte. Sie konnte sich einfach nicht merken, ob sie nun in den Finken-, den Amsel- oder den Meisenweg musste. »Weil er in seinem Vogelhäuschen mit ihr und nicht mit dir wohnt«, hatte Anne mal in einer stillen Stunde gesagt. Luise hatte das natürlich abgestritten. Doch ein-, zweimal hatte sie Ole besucht, ohne dass Judith oder die Kinder da gewesen waren, und bei diesen Gelegenheiten hatte sie sich ertappt, wie sie in Gedanken das Haus nach ihrem Geschmack einrichtete. Für sich und Ole. Hellere Vorhänge ohne Blumenmuster, ein Herd mit zwei Gasflammen zusätzlich und ein Durchbruch zwischen Wohn- und Spielzimmer, damit Platz wäre für ihren Esstisch. Das Spielzimmer brauchten sie

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