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Esswood House

Esswood House

Titel: Esswood House Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Straub
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allein auf einer dreispurigen Straße fuhr, handelte es sich eindeutig um Ackerland, ein naher Verwandter der Gegend rings um Zenith. Standish spürte, wie sich sein Körper von ganz allein entspannte, genau wie beim Abflug von New York City, als wäre er ein unabhängiges Tier, nur durch zarteste Bande mit ihm selbst verknüpft.
    Standish kam der Gedanke, daß er vielleicht einer Prüfung unterzogen wurde, einer wie auch immer gearteten Initiation - die Kraft, die für das Wirken des Universums Verantwortung zeigte, führte ihn näher an das Objekt seiner Studien heran. Für Standish war das ein tröstlicher Gedanke. Er konnte das Erlebnis ganz sicher in seinem Vorwort verwenden, um Isobel Standish dem modernen Leser näherzubringen. Er konnte schlicht und einfach die Metapher präsentieren , die vielschichtige, schmerzvolle Metapher der Anekdote, mit dem belesenen Verrückten am Wegesrand als Anfang und der Jalousie, die vor dem Fenster heruntergelassen wurde, als Ende.
    Und erheben den Vorwurf: Dachtest du, du würdest verschont?
    Es war perfekt. Was ihm zugestoßen war, das war ein Geschenk, keine Prüfung.
    Das Licht verblaßte. In der zunehmenden Dunkelheit sah Standish Entwässerungsgräben und Kanäle auf den Feldern, die selbst in dem dämmerigen Halbdunkel eine leuchtende, fast elektrisierend grüne Farbe hatten. Die schwarzweiße Karte führte ihn an winzigen, dicht gedrängten Dörfern von Lincolnshire vorbei und durch weite Sümpfe. Eine fahle Phosphoreszenz, wie von etwas Totem, das wieder zu einem unbehaglichen Leben erwachte, glomm hin und wieder inmitten dieser Sümpfe auf.
    Er traf in der Dunkelheit in Beaswick ein, um zehn Uhr abends. Das Dorf schien ein armseliger und geisterhafter Ort mit häßlichen Reihenhäusern und willkürlich verstreuten Pubs zu sein. Keine zehn Minuten später befand er sich auf der anderen Seite und folgte weiter der Karte.
    Ein paar Minuten später kam er zu einer ungekennzeichneten Straße, die in die Dunkelheit zwischen gewaltigen Eichen führte, und diese Straße brachte ihn wiederum zu einem schmiedeeisernen Tor vor einer geschotterten Zufahrt, die kurvenreich unter den gewaltigen Eichen verlief, bis er um eine letzte Kurve kam und am oberen Ende einer breiten, weißen Treppenflucht ein riesiges Haus aus weißem Stein oder Gips sah. Dahinter erhellte das Licht von Standishs Scheinwerfern ganz kurz eine absteigende Folge von Terrassen, dann glitt es über die Fenster des Hauses. Standish hielt vor den hohen Stufen an und stieg aus dem Auto. Als er den ersten langen Blick auf Esswood House warf, widerfuhr ihm etwas ganz und gar Unerwartetes. Er verliebte sich.

KAPITEL DREI
    Standish war nie in Frankreich oder Italien gewesen, er hatte Longleat, Hardwick Hall, Wilton House oder eines der zwanzig Landhäuser, die Esswood gleichkamen, nie gesehen; doch selbst wenn, wäre es einerlei gewesen. Esswood schien ihm perfekt. Die klaren, symmetrischen Linien des Hauses, die in regelmäßigen Abständen von breiten Fenstern unterbrochen wurden, versetzten ihn in Entzücken. Er versuchte, sich an den Ausdruck für eine lange, regelmäßige klassische Fassade wie diese zu erinnern, aber das Wort fiel ihm nicht ein. Einerlei. Das ganze große weiße Gebäude wirkte ausbalanciert, im Einklang mit sich und der Landschaft ringsum. Was abweisend wirken gemocht hätte - das Weiß und die Regelmäßigkeit der Fassade, die Treppenflucht, die zu einem öffentlichen Gebäude gepaßt hätte -, war durch konstante Benutzung menschlicher geworden. Eine einzige Familie, die Seneschals, lebte seit Jahrhunderten hier. Leute waren vertraut die Treppe hinauf und hinab und durch jedes einzelne Zimmer gegangen. Keine Fahrräder standen auf dem Schotterweg, und keine Spielsachen lagen vor dem Haupteingang, aber es stand fest, daß Generationen von Kindern hier aufgewachsen waren. Selbst in der Dunkelheit konnte man die ausgetretenen Stellen der Treppe erkennen, wo Generationen von Seneschals und Hunderte Dichter und Maler und Romanciers ihre Spuren hinterlassen hatten. Hier und da blätterte die Farbe ab, Wasserschäden hatten dunkle, lineare Flecken in den Ecken mehrerer der würdevollen Fenster hinterlassen. Diese geringfügigen Makel beeinträchtigten Esswoods Perfektion aber keineswegs.
    Standish öffnete den Kofferraum des Autos und holte zwei seiner großen Koffer heraus. Sie wirkten wesentlich schwerer als in Zenith; Standish ließ einen nach dem anderen auf den Schotter fallen, bevor er den

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