Esswood House
nach unten, vermutlich in die Küche. Robert Wall nahm eine Flasche vom Regal und zwei Gläser aus einem anderen Schrank.
»Sie sagten, Sie hätten eine Wette mit sich selbst verloren?«
»So ist es«, sagte Wall und lächelte ihm zu, als er in das Eßzimmer zurückkehrte. Seine offenkundige Erschöpfung und die winzigen Schnitte um Augen und Mund machten sein gutes Aussehen vollkommen zunichte, wenn man ihn aus nächster Nähe betrachtete - er sah aus, als würde er sich immer noch von einer Operation erholen, bei der Verbrennungen in seinem Gesicht mit Haut von anderen Körperstellen behandelt worden waren.
Dann dachte Standish einen Augenblick, daß Robert Wall nicht erschöpft oder krank aussah, sondern schlichtweg gierig, wie ein Mann, der nie aufgehört hat, sich nach den tollen Preisen zu sehnen, die sein ganzes Leben lang gerade außerhalb seiner Reichweite schwebten; wie ein Mann, der nie aufgegeben hat, mehr zu wollen als das, mit dem er sich begnügen mußte.
Wall zwängte sich in dem engen Raum der Speisekammer an ihm vorbei, und als beide Männer ins Eßzimmer zurückkehrten, ging Standish auf, daß er, nicht Wall, hungrig war - er war so gierig und gefräßig wie ein ausgehungerter Wolf.
Wall ging mit der Flasche und den kurzen Gläsern zur einen Seite des Tisches, Standish zur anderen. Wall zeigte auf den Platz, der eingedeckt war, und Standish setzte sich.
»Die Wette ging darum, daß Sie die Haupttreppe zurück nach unten nehmen und vom Westsaal hier hereinkommen würden. Sie sind ein Draufgänger, daß Sie sich über die Hintertreppe gewagt haben.«
Wall schenkte Whisky ein, während er das sagte. Er beugte sich weit vor, damit er Standish sein Glas reichen konnte, und sank dann anmutig auf seinen eigenen Stuhl. Einen Moment des Mißvergnügens lang fragte sich Standish, ob Wall mit der Frau, die ihn zu seinen Zimmern gebracht hatte, verheiratet war.
Wollen Sie mich reizen? Einen Augenblick sah Standish das raubvogelartige Gesicht der Frau auf sich herabschauen.
»Eine Frau brachte mich auf mein Zimmer«, sagte er.
Wall nickte, hob sein Glas und betrachtete Standish mit einem Blick vagen Desinteresses. Standish trank probeweise einen Schluck. Der Whisky schmeckte wie eine köstliche Mahlzeit. Wie Ambrosia. Wall wartete darauf, was er als nächstes sagen würde. »Die Frau erzählte mir von der Hintertreppe - darum wußte ich davon. Wer ist sie übrigens? Sie hat mir ihren Namen nicht gesagt.«
»Keine Ahnung. Haben Sie es sich schon gemütlich gemacht?«
»Dunkles Haar, sehr lang und irgendwie lose? Extrem gutaussehend? Etwa in meinem Alter?«
»Eine geheimnisvolle Frau«, sagte Wall. »Sie sind wirklich ein Draufgänger.« Er sah auf die Uhr. »Ihr Essen müßte jeden Moment fertig sein. Nur eine Frage des Aufwärmens. Schmeckt der Whisky?«
»Wunderbar.«
»Ausgezeichnet - ein Draufgänger mit gutem Geschmack. Er ist etwas Besonderes - fast siebzig Jahre alt.«
»Sie meinen, Sie wissen nicht, wer sie ist?«
»Ich habe mit derlei Dingen meist wenig zu tun. Hatten Sie eine angenehme Reise?«
Standish beschrieb, wie er sich im Kreisverkehr verfahren und auf wundersame Weise den Weg nach Huckstall gefunden hatte, und den Vorfall im dortigen Pub.
»Hinterher dachte ich bei mir, daß der ganze Zwischenfall wie ein Gedicht von Isobel Standish war - wie eine Art Isobel-Standish- Erfahrung , wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Es ist bedauerlich, daß Sie ausgerechnet Huckstall für Ihren ersten Ausflug ins englische Leben erkoren haben, aber das läßt sich jetzt nicht mehr ändern, was?«
»Ist Huckstall berühmt dafür, daß Besuchern aufgelauert wird?«
»Das nun nicht gerade. Beim Essen werde ich Ihnen ein Garn spinnen.« Er sah auf die Uhr. »Wo bleibt Ihr Essen? Inzwischen müßten sie es gebracht haben. Ich nehme an, sie warten darauf, daß wir unseren Whisky austrinken, während wir darauf warten, daß sie das Essen servieren.« Er stand auf, ging an dem Tisch entlang und verschwand in der Speisekammer. Standish hörte ihn auf der anderen Seite der Speisekammertür mit jemandem sprechen, dann das leise Lachen einer Frau. Wall kam mit einem Tablett in der Hand zu der Tür heraus. »Zum Glück haben Sie sie nicht so sehr erschreckt, daß sie das Tablett fallengelassen hat. Sie haben Ihnen eine Mahlzeit mit historischem Hintergrund zubereitet - Kalbslende mit Morchelsoße, und grüne Bohnen, wie ich sehe. Ich werde eine gute Flasche Bordeaux dazu aufmachen, ja?«
Standish
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