Esswood House
Schulrektor, aber es war schon vor Jahren mit ihm bergab gegangen. Wurde zum Trinker. Kein Job. Rauhes Leben. Der Bursche aus dem Pub konnte die Demütigung nicht ertragen, daß ihm ein Penner Hörner aufgesetzt hatte.«
Standish aß die ganze Zeit, während Wall erzählte, aber in Wahrheit schmeckte er das köstliche Essen kaum noch.
»Das ist eine schreckliche Geschichte für das Abendessen, nicht?«
»Eigentlich nicht«, sagte Standish. »Als ich in The Duellists war -«
»Ich muß Ihnen den Rest erzählen. Am nächsten Tag wurde, wie gesagt, die Leiche des Schankwirts auf der Straße gefunden. Der Mann war von dem Auto zerquetscht worden, das ihn angefahren hatte. Das Auto stand noch da, wissen Sie - die Fahrertür stand offen, der Motor lief noch. Kein Fahrer weit und breit. Er war in Panik geraten und ins Moor geflohen. Er erfuhr nie, daß er unschuldig war - erfuhr nie die ganze Geschichte.«
»Konnten sie ihn nicht anhand des Autos identifizieren?«
»Gemietet. Der Bursche könnte einen falschen Namen benutzt haben, soweit ich weiß. Ich nehme an, er ist noch flüchtig.«
»Der Mann in The Duellists sagte mir, daß jemand hier ermordet worden ist.«
»In Esswood?«
»Ja! Ein Amerikaner, sagte er.«
»Das ist sehr seltsam.« Wall schien vollkommen ungerührt zu sein. »Ich bin sicher, davon hätte ich gehört. Immerhin bin ich meist hier irgendwo.« Er schaute stirnrunzelnd-lächelnd drein, das Stirnrunzeln war eine Verkleidung für das Lächeln. Es war wahrscheinlich der ironischste Gesichtsausdruck, den Standish je gesehen hatte.
»Mir kam es komisch vor«, sagte Standish.
»Kann mich nicht erinnern, wann wir zum letztenmal einen Mord hatten.« Jetzt lächelte Wall unverhohlen. »Und ich habe den größten Teil meines Lebens hier verbracht. Ihr Bursche hat den Namen sicher mit Exmoor oder so verwechselt. Ich hoffe, Sie haben sich keine Sorgen gemacht, oder?«
»Natürlich nicht. Keineswegs. Nee.«
»Sie waren eindeutig eine gute Wahl für ein Esswood-Stipendium, Mr. Standish.«
»Danke.« Standish, den dieses Schmeicheln aus der Fassung brachte, überlegte sich, ob er Wall bitten sollte, ihn William zu nennen. Würde Wall bitten, daß er ihn Robert nannte?
»Haben Sie auf dem Weg durch den hinteren Flur auch einen Blick in die Bibliothek geworfen? Ich an Ihrer Stelle hätte der Versuchung nicht widerstehen können.«
»Also«, antwortete Standish. »Nein, eigentlich nicht. Das heißt, um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich wollte die Tür aufmachen, aber sie war abgeschlossen.«
»Das ist nicht möglich. Die Türen der Bibliothek sind niemals abgeschlossen. Könnte es eine andere Tür gewesen sein?«
»Nahe am unteren Ende der Treppe?«
»Hmm. Einerlei. Sieht ganz so aus, als hätte sie Sie nicht einlassen wollen. Eventuell müssen wir noch einmal über Ihr Stipendium nachdenken, Mr. Standish.«
Jetzt wußte er, daß er auf den Arm genommen wurde. Er trank von seinem Wein und begegnete Walls anhaltendem Schweigen mit einer Frage »Sie sagten, Sie hätten fast Ihr ganzes Leben in Esswood verbracht. Wurden Sie hier geboren?«
»So ist es tatsächlich. Mein Vater war vor dem Ersten Weltkrieg Wildhüter hier, wir wohnten in einem Cottage hinter dem rückwärtigen Feld.« Wall schenkte sich und Standish nach. »Damals wurden die Gäste von Edith Seneschals Gastfreundschaft und ihrer berühmten Küche angezogen, die immer noch ausgezeichnet ist, wie Sie sehen, aber wegen der angenehmen Gesellschaft und dem, was sie in Esswood fanden, kehrten sie immer wieder zurück. Ihre Dankbarkeit dieses Vergnügens wegen veranlaßte sie, etwas zu der Bibliothek beizusteuern - genau darum ist sie natürlich so einzigartig. Alle bedeutenden Gäste, die hierher kamen, spendeten Manuskripte und Unterlagen, Tagebücher, Notizbücher, Entwürfe, Sachen eben, über deren Wert sie sich im klaren waren, aber auch Dinge, die ihnen so gut wie wertlos erschienen sein mußten. Natürlich gehören einige der letzteren mittlerweile zu unseren kostbarsten Besitztümern.«
»Manuskripte und Tagebücher? T. S. Eliot und Lawrence und alle anderen? Sogar Theodore Corn - sogar Isobel?«
»Ja, sogar Isobel, das versichere ich Ihnen«, sagte Wall lächelnd. »Besonders Isobel, möchte ich hinzufügen. Ich weiß nicht recht, wie es anfing, doch es dauerte nicht lange, da wurde es zu einem Brauch, dem Hause etwas Derartiges zu geben, als symbolisches Entgelt für Ediths Gastfreundschaft, als Ausdruck der Dankbarkeit für
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