Esswood House
Esswoods Schönheit und Abgeschiedenheit ... es gehörte einfach zu einem Aufenthalt hier dazu, daß man so etwas zurückließ, wenn man abreiste.«
»Das ist außergewöhnlich«, sagte Standish. »Sie meinen, diese berühmten Leute haben jedesmal, wenn sie hierher kamen, Originalmanuskripte und Tagebücher gestiftet?«
»Jedesmal. Jahr für Jahr. Isobel Standish kam zweimal nach Esswood, und ich glaube, sie hat einige höchst bedeutende Dinge für die Bibliothek dagelassen.«
»Und waren diese, äh, Spenden Kopien bekannterer Werke? Irgendwie hört sich das nicht so an, als ob -«
»Und das sollte es auch nicht. Ich glaube , ich kann mit Fug und Recht behaupten, daß alles Derartige, das wir besitzen, einzigartig ist. Nichts darf anderswo veröffentlicht oder nachgedruckt werden, es sei denn nach vorheriger Absprache. Sie müssen wissen, das waren die Bedingungen, die sich eingebürgert haben.«
Standish fühlte sich, als hätte er sich die Finger geleckt und dann in eine Steckdose gehalten. Dieses Haus war eine Schatzkammer. Manuskripte unbekannter Werke einiger der größten Schriftsteller des Jahrhunderts, frühe handschriftliche Entwürfe bedeutender Gedichte und Romane! Es war, als hätte man ein Lagerhaus voll unbekannter Gemälde von Matisse, Cezanne und Picasso entdeckt.
Robert Wall schien ihm seine Aufregung im Gesicht abzulesen, denn er sagte: »Ich weiß. Atemberaubend, nicht wahr? Für jemanden, der es angemessen zu schätzen weiß. Sie verstehen jetzt sicher, warum wir die Esswood-Stipendiaten jedes Jahr so sorgfältig auswählen - sie müssen hohen Ansprüchen gerecht werden.«
»Mann«, sagte Standish. »Unbedingt.«
»Und das war auch für mich die Faszination, denke ich. Davon abgesehen, daß es immer mein einziges Zuhause gewesen ist. Ich ging zur Schule und dann zur Universität, die Seneschals waren stets großzügig, wenn sie dachten, daß Großzügigkeit geboten war, aber ich spürte von jeher eine tiefe Verbundenheit mit Esswood. Also gab ich mir nach der Universität die größte Mühe, mich unentbehrlich zu machen, und seither bin ich hier. Im Zweiten Weltkrieg wurde ich natürlich einberufen, konnte es aber nicht erwarten, hierher zurückzukehren. Im Grunde meines Herzens bin ich immer noch der Sohn des Wildhüters, fürchte ich. Und ich denke gern, daß ich mit dazu beigetragen habe, Esswood in die moderne Welt zu führen, ohne seine Vergangenheit aufzugeben.«
Wall lächelte Standish zu. »Darum geht es, verstehen Sie? Die Vergangenheit von Esswood ist immer noch recht lebendig. Ich erinnere mich, wie ich eines Morgens mit meinem Vater am langen Teich entlangging und Edith Seneschal, die liebreizendste, anmutigste Frau der Welt, wie mir schien - und meinem Vater natürlich auch -, mit einer großen, ebenfalls sehr schönen Frau und einem untersetzten, distinguierten Herrn auf mich zukam und mich Virginia Woolf und Henry James vorstellte. Da war James natürlich schon sehr alt, ich glaube, es war sein letzter Besuch in Esswood. Er bückte sich, schüttelte mir die Hand und bewunderte meinen Mantel. ›Was für eine Menge Knöpfe du da hast, junger Mann‹, sagte er zu mir. ›Ist dein Name vielleicht Knopf?‹ Meine Zunge war wie gelähmt, ich wußte nicht, was ich zu ihm sagen sollte und glotzte wie ein hirnloser Narr zu ihm auf, worauf er überaus anständig reagierte. Später im Leben las ich alles über sie, James und Woolf, und ihre Werke - ich versuchte, alles Menschenmögliche über alle unsere Gäste zu lernen. Gelehrte natürlich inbegriffen. Ich halte das für eine der wichtigsten Aufgaben, um Esswood am Leben zu halten. Wir prüfen jeden vorab ziemlich gründlich und versuchen, sie während ihres Aufenthalts noch besser kennenzulernen. Wir möchten, daß unsere Gäste zu uns passen, und wir zu ihnen. Es haut einfach nicht richtig hin , wenn die Chemie nicht stimmt. Die Leute, die hierherkommen, müssen Esswood lieben.«
Standish nickte.
»Aber sehen Sie, ich bin ein hoffnungsloser Fall. Ich liebe es so sehr, daß ich nie fortgegangen bin.«
»Sie sind ein glücklicher Mann.«
»Wohl wahr. Es ist besser, Esswood nie zu verlassen.«
Esswood nie zu verlassen. Standish hörte eine unausgesprochene Botschaft, eine Art von stummer Resonanz in Walls letzten Worten. Selbst Walls Haltung, Kopf nach hinten geneigt, Finger um das Glas geschlossen, schien die Aura eines unausgesprochenen Sinns zu vermitteln. Dann begriff Standish wenigstens eines von dem, was Wall gemeint
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