Esti (German Edition)
geht das.
Esti stand vor dem Spiegel (ich muss gar nicht sagen, nach dem Aufwachen), zum eynen seyne Nase, stellte er fest, zum anderen seyn Haar. Eine gerechte Nase, und er versuchte seynen Kopf zur Seyte drehend die Größe abzuschätzen, die Dimensionen, das Ausmaß des Übels. Doch das heftige und erschrockene Interesse diesbezüglich war in ihm schon erloschen (wird mich je eyne so, samt Nase, lieben?, oder wenigstens begehren?, oder duldet sie es nur), alte Zeyten, als (es noch Jahreszeyten gab und) er mit Hilfe eynes Rasierspiegels mit sogenanntem Scherengelenkarm täglich eyn genaues Bild von der Situation seynes Profils bekommen konnte. Er hatte sich mit seyner Nase mühsam angefreundet, doch dann hatte er sich auf der Stelle mit ihr angefreundet.
Und dann kam die Renaissance, sogar Geld ließ man mit seynem Konterfey prägen.
Und noch eynmal »früher«: Früher, als ihm der Spottname König Mátyás zuteylgeworden war, hatte das in erster Linie Trostcharakter, als nähme alleyn die Vornehmheyt der historischen Wiederholung des Zinken (Riechkolbens) dem Spott den Wind aus den Segeln. Auf Schritt und Tritt (alle naselang!) stolperte man über seyne Nase. (Eyne Frau flüsterte mir – mit eynem Mal – ins Ohr. Süßer. Auf jeden Fall müssen Krethi und Plethi hinein. Sie hatte eynen heyßen Atem.) Krethi und Plethi stolperten darüber. Lämmer, Kälber blökten, als sie eynst Kopf über Hals gegen den um Kanizsa lagernden Turken zogen, die Kriegsleute standen im Kreys auf dem Schlachtfeld, unsere, ihre, und jauchzten, du kriegst eyns auf deyne fette Nase!, für eynen Fünfer lüde ich nicht mit Eys voll, denn damals war Eys noch billig, eyns fuffzig das Brot.
Auch im Gymnasium war er Naso genannt worden, teyls nach Publius Ovidius, teyls nach deutsch DIE NASE , das heyßt, schon damals hatte man den schlummernden Dichter in ihm erkannt. Dabey war er damals, nicht wahr, noch verkleydet unterwegs. Auch dieses Inkognitoprojekt verband ihn und Janko Hunyadis weltbeherrschenden Sohn. Der Unterschied war lediglich, dass er, Esti, zwar wusste, dass die anderen nicht wussten, auch nicht wissen konnten, wer sich unter der Verkleydung verbarg, doch, im Gegensatz zu dem König, auch er dieses Nichtwissen teylte: Auch er wusste es nicht. Was unter anderem zur Folge hatte, dass er auszog, sich unters Volk, unter seyn Volk zu mischen, es war eynmal irgendwo, ich weyß nicht, wo, und du weyßt nicht, wo, nun, es reycht zu wissen, dass es nichts gab, wohin er hätte zurückkehren können, vulgo nix Palast, nix Thron und das ganze vergoldete Zubehör, nix; und so ist es schwer, der Held von Anekdoten zu seyn, denn die gehen gemeynhin so aus, dass der betreffende Begünstigte in der Position eynes Bauern eynen Scheffel (Kober?) Kremnitzer Gold, Kremnitzer Goldfüchse erhält, und dies ist die Quelle des Humors. Dieser hatte Glück, jene zogen den Kürzeren.
Seyne Geschwister hatten ihm eynfach einen Nasenstüber verpasst, mir nix, dir nix verpassten sie ihm eynen Nasenstüber und lachten dann. Das Ganze hatte etwas von eynem Volksmärchen, nur das Lachen war von heute, das heyßt derb, oberflächlich, gnadenlos (Estis Worte), schon egal, seyne Geschwister hatten das als Quelle des Humors angesehen.
Betrachtet man die Erzählebenen, Esti, ich, Mátyás, ist es eyn bisschen viel des Guten, was wir an Reflexionsreychtum gewinnen, zerrinnt bey der Übersichtlichkeyt (zufällig eyne Art Wortspiel, aber nicht beweysbar). Auf alle Fälle ist es schon genug der Liebesmüh, eyn Metzgersgang, auch die Handlung kommt nicht voran, ich sah also im morgendlichen Spiegel, dass ich eyn schön gewachsener Mann bin, weder zu kleyn noch zu groß. Meyne Geschwister sind alle größer, und an eynem Punkt ihrer Ontogenese war es ihnen wichtig zu betonen, dass ich der Kleynste sey, umsonst kletterte ich die zunehmend morsche Leyter der Jahre hinauf, wie eyn Hund, wenn er sitzt, so groß, diesen Ausdruck gebrauchten sie ununterbrochen. Daher das Sprichwort: In Buda war nur eynmal Hundemarkt! Meyn Gesicht schmücken schön meyne breyten Augenbrauen und meyne schnellen, ins Schwarze spielenden Augen und meyne allemal gebührliche Nase.
Das ist nicht das Werk, das ist die Abschweyfung: Bey der gebührlichen Nase fällt mir eyn – ungarischer Gedanke von heute –, ob es zu Mátyás’ Zeyten wohl Antisemitismus gegeben hat. Bedarf gab es, hauptsächlich in den Königlichen Freystädten, wo die Juden eine ernstzunehmende wirtschaftliche
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