Eternally - Cach, L: Eternally
ihre eigene Zeichnung, die voller gekritzelter Schatten war, und machte sich schnell daran, sie mit parallelen Linien zu überarbeiten.
Monsieur Girard kam zu seinem nächsten Opfer. »Du glaubst also, dass ihr Kopf diese Größe hat? Wirklich?«, fragte er Daniela. »Du glaubst, er ist ein Zehntel so groß wie ihr gesamter Körper? Du achtest nicht auf die Proportionen. Der Kopf hat ein Siebtel bis ein Achtel der Körpergröße.«
»Natürlich. Das weiß ich. Ich hab nur Schwierigkeiten, es aufs Papier zu bringen«, sagte Daniela. »Ich kann sehr gut zeichnen, aber es ist alles in meinem Kopf eingesperrt.«
Monsieur Girard prustete erst leise, dann immer lauter, bis aus dem Prusten schallendes Hohngelächter wurde. Caitlyn blickte auf, als er Daniela an die Stirn tippte. »In deinem Kopf eingesperrt! Ich habe ein Klassenzimmer voller brillanter Künstler, aber die Kunst ist in ihren Köpfen eingesperrt! Ha! Der einzige wirkliche Künstler, der hier je lebte, wenn auch nur für kurze Zeit in den Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts, war Antoine Fournier. Er war es, der die Oberlichter in das Atelier einbauen ließ. Von ihm stammt das Gemälde der Fortuna im Großen Salon, nach der das Emblem der Schule gestaltet wurde. Fournier sagte, dass es dieses Gemälde war, das ihn dazu zwang, das Château zu verlassen.«
Der Köder hing mehrere Sekunden lang in der Luft, bis Caitlyn schließlich danach schnappte. »Wie konnte ein Gemälde ihn dazu bringen wegzugehen?«
»Wie, fragst du? Fournier sagte, dass sein Modell für die Fortuna ein Gespenst gewesen sei, ein Geist, der ihn heimsuchte, wenn er in seinem Atelier malte. Sie befahl ihm, was er malen sollte.« Der Lehrer warf die Arme in die Luft. » Alors! Welcher Maler möchte sich schon sagen lassen, was er auf die Leinwand bringen soll? Es gibt so etwas wie Inspiration, wie eine Muse, aber ein Geist, das geht zu weit.«
Caitlyn erstarrte. Ein Geist. In der Burg gab es einen Geist. Es war also doch eine Präsenz gewesen, die sie wahrgenommen hatte! Ein Schauder kroch ihr über die Arme.
Monsieur Girard grinste über die Wirkung seiner Geschichte und ging weiter, um sich über die Bemühungen einer weiteren Schülerin abfällig zu äußern. Als er sich Caitlyn näherte, machte sie sich schnell wieder an die Arbeit. Er stellte sich hinter sie und beobachtete ihre Versuche. Sie bemühte sich, aber dann wurde ihr Arm langsamer, und schließlich ließ sie ihn vor lauter Verlegenheit ganz sinken.
»Ist in deinem Kopf auch ein hervorragender Künstler eingesperrt?«, fragte er.
»Nein. Ich fange an zu glauben, dass ich überhaupt nichts von Kunst verstehe.«
»Alle mal herhören! Sie versteht nichts von Kunst! Und sie beweist es mit ihrer Skizze.«
Caitlyn zuckte zusammen.
»Das«, fuhr er fort und legte seine Hand auf ihren Kopf, »ist die richtige Einstellung, um malen zu lernen. Dein Geist muss frei sein von deinen alten Vorstellungen und deinen alten Sichtweisen. Du musst von vorn anfangen, wie ein Baby, das die Welt noch nie gesehen hat.« Er nahm die Hand von ihrem Kopf und deutete auf die Stelle, die sie mit parallelen Linien schattiert hatte. »Das ist gut.«
»Danke«, sagte Caitlyn leicht überrascht.
Er nickte anerkennend. »Hör weiterhin gut zu. Wenn du die Ohren offen hältst, wirst du eine der wenigen sein, die etwas lernen.«
Caitlyn fühlte Stolz in sich aufwallen. Das kleinste Kompliment von Monsieur war zehnmal mehr wert als das überschwängliche Lob eines freundlicheren Menschen.
Nach dem Unterricht gingen Caitlyn und Naomi zurück zu dem Flügel, in dem die Zimmer der Mädchen lagen. Sie nahmen die oberen drei Stockwerke der Westseite ein, die direkt an die Felsen grenzte. Die anderen drei Seiten der quadratischen Burg waren umgeben von geometrisch angelegten Gärten, einem Küchengarten, Reitställen, einer offenen Wiese und, im Süden, von einer auf einem Felsen errichteten Kapelle. Es war eine in sich abgeschlossene, abgeschiedene Welt, die innerhalb der äußeren Festungsmauern lag. Das Dorf Cazenac lag einen guten halben Kilometer vom Fuße des Felsens entfernt. Die größere Stadt Sarlat-la-Canéda war nahe genug, dass sich die Mädchen, die Geld hatten, ein Taxi dorthin nehmen konnten, um shoppen oder in ein Restaurant zu gehen.
»Wir sind zusammen in Erdkunde, oder?«, sagte Naomi.
Caitlyn nickte. Ihr gefiel Naomis lässiges Selbstbewusstsein; ihr schien es egal zu sein, was irgendjemand von ihr dachte, und das machte es angenehm,
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