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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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da, ob ihr es glaubt oder nicht, erkannte ich, dass das nach Äpfeln riechende Boot ohne Steuer vom Ufer ablegte. Ohne uns. Ohne Morholt von Ulster. Ohne Branwen von Cornwall. Aber nicht leer.
    Ade, Iseult. Ade für immer. Ob in Tír nan Óg oder in Avalon, für immer, auf ewig wird das Weiß deiner Hände überdauern.
    Ade, Iseult.
    XV
    Wir verließen Carhaing, ehe Caherdin eintraf. Wir hatten keine Lust, mit ihm zu sprechen. Weder mit ihm noch mit sonst jemandem, der sich an Bord des Schiffes befinden mochte, das aus Cornwall, aus Tintagil gekommen war. Für uns war die Legende schon zu Ende gegangen. Es interessierte uns nicht, was die Minnesänger daraus machen würden.
    Es waren wieder Wolken aufgezogen, es nieselte. Normal, wie es eben ist in der Bretagne. Vor uns lag der Weg. Der Weg durch die Dünen zu jenem steinigen Strand. Ich wollte nicht daran denken, was weiter sein würde. Das war nicht von Bedeutung.
    »Ich liebe dich, Morholt«, sagte Branwen, ohne mich anzuschauen. »Ich liebe dich, ob du willst oder nicht. Ob ich es will oder nicht. Das ist wie eine Krankheit. Wie eine Ohnmacht, die mir die Fähigkeit zur freien Entscheidung nimmt, die mich in einem Abgrund versinken lässt. Ich habe mich in dir verirrt, Morholt, ich werde mich nie wiederfinden, werde mich nie wieder so finden, wie ich einst war. Und wenn du meine Liebe erwiderst, wirst du dich ebenso verirren, verloren sein, im Strudel versinken, wirst du den Morholt von früher nie wiederfinden. Darum überlege gut, ehe du mir antwortest.«
    Das Schiff lag am Felsufer. Etwas wurde ausgeladen. Jemand schrie und fluchte auf walisisch, trieb die Lastträger an. Die Segel waren gerefft. Die Segel   …
    »Das ist eine schreckliche Krankheit, diese Liebe«, fuhr Branwen fort, den Blick ebenfalls zu den Segeln des Schiffes gerichtet. »
La maladie,
wie sie im Süden sagen, im Landesinneren.
La maladie d’espoir,
die Krankheit der Hoffnung. Eine selbstsüchtige Verblendung, die allen ringsum Kränkungen zufügt. Ich liebe dich, Morholt, in selbstsüchtiger Verblendung. Mich kümmert nicht das Los der anderen, die ich unwillkürlich in meine Liebe verstricken, die ich kränken und in den Untergang führen könnte. Ist das nicht schrecklich? Wenn du aber meine Liebe erwiderst   … Überleg es dir gut, Morholt, ehe du mir antwortest.«
    Die Segel   …
    »Wir sind wie Tristan und Iseult«, sagte Branwen, und die Stimme brach ihr. »
La maladie   …
Was wird aus uns, Morholt? Wird auch uns am Ende ein Busch von Weißdorn oder wilden Rosen vereinen, der aus einem Sarg von Beryll wächst, um mit den Zweigen einen anderen Sarg zu umschließen, den aus Chalzedon? Ist es das wert? Morholt, überleg es dir gut, ehe du mir antwortest.«
    Ich hatte nicht vor, es mir zu überlegen. Ich denke, Branwen wusste das. Ich sah es in ihren Augen, als sie mir das Gesicht zuwandte.
    Sie wusste, dass wir nach Carhaing gesandt worden waren, um die Legende zu retten. Und wir hatten es getan. Auf die vollkommenste Weise.
    Indem wir eine neue begannen.
    »Ich weiß, was du empfindest, Branwen«, sagte ich, den Blick auf die Segel gerichtet. »Denn ich empfinde genau das Gleiche. Das ist eine schreckliche Krankheit. Die schreckliche, unheilbare
maladie
. Ich weiß, was du empfindest. Denn ich bin auch erkrankt, Mädchen.«
    Branwen lächelte, und es schien mir, als dringe dieSonne durch die tief hängenden Wolken. So ein Lächeln war das, ob ihr es glaubt oder nicht.
    Ich gab dem Pferd die Sporen.
    »Und nieder mit den Gesunden, Branwen!«
    Die Segel waren schmutzig.
    So kam es mir jedenfalls vor.

Quellenhinweise
    In ›Tandaradei!‹ werden zwei Strophen aus ›Under der linden‹ Walthers von der Vogelweide in der neuhochdeutschen Nachdichtung Richard Zoozmanns zitiert. Die in ›Der goldene Nachmittag‹ vorkommenden Zitate aus Lewis Carrolls ›Alice im Wunderland‹ und ›Alice hinter den Spiegeln‹ lehnen sich, soweit möglich, an die Übersetzung von Christian Enzensberger an. Den als Motto zu ›Maladie‹ verwendeten Auszug aus dem Prolog zu Bolesław Leśmians ›Buch der Vorahnungen‹ dichtete Erik Simon nach.

»Der Weg, von dem niemand zurückkehrt«,
    die zweite Erzählung, die ich geschrieben habe, erschien 1988 in der Augustnummer der Zeitschrift
Fantastyka
, also ein Jahr und neun Monate nach meinem Debüt »Der Hexer«, das im Dezember 1986 ebenfalls in der
Fantastyka
gedruckt worden war. Sie   – also die verehrten Damen und Herren Leser   –

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