Eulen
nach weiteren Hinweisen. Hinter einem dichten Vorhang aus Ranken fand er drei Plastiktüten, die alle oben zugeknotet waren. In der ersten Tüte war ganz normaler Müll – Wasserflaschen, Suppendosen, Tüten von Kartoffelchips, Kerngehäuse von Äpfeln. Die zweite Tüte enthielt Kleidungsstücke eines Jungen – ordentlich gefaltete T-Shirts, Jeans, Unterhosen.
Aber keine Socken oder Schuhe, bemerkte Roy.
Anders als die beiden ersten Tüten war die dritte nicht voll. Roy lockerte den Knoten und spähte hinein, aber er konnte nichts erkennen. Was immer darin war, es fühlte sich ziemlich sperrig an.
Ohne nachzudenken, drehte er die Tüte einfach um und kippte den Inhalt auf den Boden. Ein Bündel dicker brauner Seile fiel heraus.
Auf einmal fingen die Seile an sich zu bewegen.
»Oh!«, sagte Roy.
Das waren Schlangen – und nicht einfach irgendwelche.
Ihre Köpfe waren dreieckig, wie die der Prärieklapperschlangen in Montana, aber ihre Körper waren lehmfarben und auffällig plump. Roy erkannte sie – es waren hochgiftige Wassermokassinschlangen. Sie hatten keine Klappern, mit denen sie vor einem Angriff warnten, aber Roy sah, dass die Enden ihrer stumpfen Schwanzenden in blaue und silberne Glitzerfarbe getaucht waren, wie man sie in der Schule im Kunstunterricht manchmal benutzte. Das sah ausgesprochen merkwürdig aus.
Roy gab sich größte Mühe, sich nicht zu bewegen, während die fetten Reptilien sich zu seinen Füßen ringelten. Manche dehnten sich züngelnd auf ihre volle Länge aus, während andere sich träge zusammenrollten. Roy zählte sie, neun waren es insgesamt.
Das ist nicht so toll, dachte er.
Er kippte fast aus den Schuhen, als er aus dem Dickicht hinter sich eine Stimme hörte. »Beweg dich bloß nicht!«, befahl die Stimme.
»Hatte ich auch nicht vor«, sagte Roy. »Ehrlich.«
Als er noch in Montana lebte, war Roy einmal auf dem Pine-Creek-Pfad in das Gebiet von Absaroka gewandert, von wo aus man das ganze Paradise Valley und den Yellowstone River überblicken konnte. Es war ein Schulausflug gewesen, mit vier Lehrern und etwa dreißig Schülern. Roy war mit Absicht immer weiter zurückgeblieben, bis er schließlich das Schlusslicht bildete, und als niemand schaute, hatte er sich von der Gruppe gelöst. Abseits vom ausgetretenen Pfad stieg er in Zickzacklinien einen bewaldeten Bergrücken hinauf. Er hatte vor, über den Grat zu laufen und auf der anderen Seite unauffällig hinunterzuklettern, so dass er vor seinen Mitschülern am Lagerplatz ankommen würde. Er stellte es sich sehr lustig vor, wenn sie endlich dort angetrottet kamen und ihn schlafend am Fluss entdeckten.
Eilig suchte er sich seinen Weg durch einen Wald aus riesigen Drehkiefern. Der Hang war übersät mit morschen Baumstämmen und abgebrochenen Zweigen, den Überresten vieler kalter und stürmischer Winter. Roy trat vorsichtig auf, um keinen Lärm zu machen, denn er wollte vermeiden, dass die Wanderer unten auf dem Weg ihn klettern hörten.
Es stellte sich aber heraus, dass Roy allzu leise war. Als er auf eine Lichtung trat, fand er sich einem großen Grizzlybären mit zwei Jungen gegenüber. Unmöglich zu sagen, wer erschrockener war.
Roy hatte sich schon immer gewünscht, einmal einen Grizzly in freier Wildbahn zu sehen, aber seine Freunde in der Schule hatten gesagt, er sei ein Träumer. Vielleicht im Yellowstone Park, hatten sie gemeint, aber doch nicht hier bei ihnen. Die meisten Erwachsenen verbrachten ihr ganzes Leben im Westen, ohne je einen Bären zu Gesicht zu bekommen.
Und nun stand Roy da, und dreißig Meter von ihm entfernt standen drei leibhaftige Bären, die ärgerlich schnaubten und sich auf die Hinterbeine stellten, um ihn gründlich mustern zu können.
Roy erinnerte sich, dass seine Mutter ihm eine Dose mit Pfefferspray in den Rucksack gepackt hatte, aber er erinnerte sich auch an das, was er über Begegnungen mit Bären gelesen hatte. Bären hatten schlechte Augen, und das Beste, was ein Mensch daher tun konnte, war es, absolut still und bewegungslos dazustehen.
Genau das tat Roy.
Böse knurrend kniff die Bärin die Augen zusammen und witterte. Dann gab sie ein kurzes, bellendes Geräusch von sich und sogleich verschwanden die beiden Jungtiere im Wald.
Roy schluckte heftig, rührte sich aber nicht.
Das Muttertier richtete sich zu seiner vollen Größe auf, bleckte die gelben Zähne und tat so, als würde es nach ihm schlagen.
Innerlich bebte Roy vor Angst, aber nach außen blieb er ganz
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