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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
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Licht durch das Fenster, die Schatten der gegenüberliegenden Häuser fallen nur in das untere Drittel des Zimmers, dorthin, wo ich bis gerade eben war. Ein letzter warmer Strahl fängt sich in den Flaschen in meinen Händen und taucht in schillernden Schlieren durch den Alkohol. Als ob ich darin kleine Feen eingelegt hätte, um sie für ein Naturkundemuseum zu konservieren. Für immer jung. Gefangen im flüssigen Luxus, in starrer Schönheit. Keine Sorge, ich werde euch befreien.
    Ich bin wirklich ziemlich hacke. Abgestürzt. Hiuuuu und wumm.
    Mein Vater würde Menschen wie mich umbringen. Weil sie Familien zerstören.
    Einmal, an einem Wintertag, ich muss zwischen fünf und sechs gewesen sein, jedenfalls noch klein genug, um an meinen Haaren zu kauen, ohne in der Scheibe des U-Bahn-Fensters
sehen zu können, wie lächerlich ich mit den verklebten Strähnen im Mundwinkel aussah, jedenfalls damals, da ist meine Mutter fortgegangen.
    Später, als diese Geschichte bei kleinen Abendgesellschaften meiner Eltern, die damals für alle das Traumpaar waren, zum Besten gegeben wurde, erfuhr ich, dass sie an diesem Tag versucht hatte, wieder Fuß in der Arbeitswelt zu fassen, nachdem sie so lange »nur Mutter« gewesen war. Es war ein Test gewesen, erst für sie, sie hatte als Erholung von Weihnachtsvorbereitungen und Winterblues eine Bewerbung an ihre alte Firma geschrieben, eine höfliche Anfrage, die eigentlich ihr Herzblut enthielt, ob nicht ihre kurz vor meiner Geburt aufgegebene Stelle noch frei wäre oder eine andere in ihrer ehemaligen Abteilung oder wenigstens irgendeine. Sie muss sich immer nur mit mir zu Hause sehr eingesperrt gefühlt haben. Ich konnte ihr eben nicht den Kick geben, der damit einhergeht, sich jeden Morgen auf schwarzen Pumps durch gläserne Drehtüren zu schieben und zu wissen: Ich arbeite hier. Die Firma schrieb pünktlich zu Weihnachten zurück, es gebe da kurzfristig einen Job. Und meine Mutter nahm ihn an. Ohne den als »Mama« zu kündigen. Das wäre der zweite Teil des Tests: Wie würde das Kind, also ich, ohne die ständige mütterliche Betreuung auskommen? Die wieder in die Gesellschaft der LEBENDEN Integrierte – ein Ausdruck, der nicht fehlen durfte, wenn diese Anekdote unter Salzgebäckgenibbele und Proseccogurgeln erzählt wurde – sollte am ersten Februar ihre Arbeit antreten. Es blieb also noch der ganze Januar, um das Kind umzutrainieren, von »immer nur Mama« auf andere Pflegepersonen umzustellen.
    Was mir bis heute nicht einleuchtet, ist, warum sie mich nicht schon mit drei Jahren in einen ganztägigen Kindergarten
gesteckt hat. Wollte sie mich damals noch nicht abschieben? War ich ihr noch klein und schützenswert erschienen? Hat sie mich jemals geliebt?
    Nun konnte sie jedenfalls keinen Kindergartenplatz mehr für mich auftreiben, nicht so schnell und vor allem nicht in der Weihnachtszeit, in der sämtliche Ansprechstellen der privaten und der öffentlichen Institutionen unbesetzt waren.
    Ich höre, wie meine Eltern über »Tagesmütter« diskutieren, ein Begriff, der ganz plötzlich auftaucht, während ich unter dem noch behängten, aber schon stark erkahlten Christbaum sitze. In meinen Händen drehe ich einen kleinen Drahtengel, in dessen hohlem Kopf eine Glocke baumelt. Immer wenn ich die Figur, die wohl von einem Zweig gefallen ist, wie eine Schiffschaukel auf dem Jahrmarkt zum Überschlag bringe, klingelt das Glöckchen. Wer ist bloß auf die Idee gekommen, dem Engel ein solches Ding in den Kopf zu stecken? Es muss ihn doch stören, das ständige Gebimmel. In einer dünnen, hohen Stimme lasse ich ihn ein sehr melancholisches Lied darüber singen, allein auf der Erde zurückgelassen worden zu sein von der himmlischen Schar und ewiglich läuten zu müssen. Meine Mutter sitzt mit sehr geradem Rücken auf der Kante des Sofas und blättert sich durch offizielle Broschüren, die sie im Internet gefunden und ausgedruckt hat. Sie spricht von hygienischen Standards, pädagogischen Richtlinien, Normen und Vorschriften. Diese Tagesmütter müssen sehr geregelte Leben führen. Schon ihr Name ist begrenzend: Sie sind nur tagsüber Mütter. Sie haben ein ebenso trauriges Schicksal wie der kleine Engel. Ich würde sie alle gerne beschützen, sie in meine Hände hüllen und dahin zurückbringen, wo sie hingehören: Engel in den Himmel, Mütter zu ihren Kindern. Für den Rest ihres Lebens. Happy End. Mein Vater hängt in einer Ecke des Sofas,
die Beine neben den sorgfältig geordneten

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