Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman
Einkäufe aus einer geplatzten Plastiktüte.
Jeder kann reintreten. Mich und meine Seele zu Brei zerquetschen. Ich habe mich da draußen verloren, doch ich kann mich nicht einsammeln. Ich gehe nämlich nie wieder raus. Denn wenn ich auch nur eine Haarspitze aus meiner sicheren Heimat schiebe, werdet ihr sie abtöten. Ihr da draußen bringt mich um. Mit euren Fragen, eurer elendigen Neugier. Selbst habt ihr keine Antworten. Wisst ihr, wie Liebe funktioniert? Kommt mir nicht mit der Biene-Blümchen-Geschichte, ich meine echte Liebe. Nein, das wollt ihr gar nicht wissen. Es kostet zu viel Blut. Daran denkt man immer nicht, wie viel Blut es kostet, zu lieben. Das verdrängt man, denn das ist leichter, als wirklich zu lieben. Darum verdränge ich jetzt euch.
Ich schließe alle Türen, alle Fenster. Alle Tore zur großen, weiten Welt. Alle Möglichkeiten des Versagens. Will die Taube mir noch Gesellschaft leisten? Sie fliegt weg, als ich näher ans Glas trete. Noch für ein paar Augenblicke kann ich ihrem blauen Flügelschlag folgen, wie sie durch den Tunnel aus Mietshäusern unter Stromleitungen und Ampeln hinweg in die Zukunft entflieht, die mir verstellt ist. Die ich mir selbst verwehre. Der ich entsage. Natürlich könnte ich hinterher. Natürlich könnte ich kämpfen um meinen angestammten Platz in euren Reihen. Aber ich will nicht. Es geht um Freiheit, wirkliche Freiheit. Und die kann ich mir nicht nur vorspielen. Ich kann mich nicht wieder anziehen, schminken und mir die Locken glätten. Ich kann nie so glatt sein, dass ihr an mir abperlt. Es gibt für mich kein Licht am Ende des Tunnels. Keine Hoffnung in dieser Situation. Ihr könnt mich nicht unberührt lassen. Das Licht wird näher kommen, immer näher, und der Tunnel wird sich schließen. Ihr werdet mich überfahren wie ein Schnellzug. Ihr seid gnadenlos.
Am nächsten bin ich der Freiheit, der geistigen Freiheit, wenn ich trinke.
Ich trinke ziemlich viel. Ab jetzt nicht mehr mit euch. Sondern gegen euch. Nachdem sogar meine Taubenschwester mich zurückgelassen und mein Menschenbruder mich an die Wölfe verkauft hat. Mich verkaufen wollte. Nice try. Jetzt zeige ich euch mal, wie man das macht. Lasst den Profi ran. Vom Schreibtisch aus habe ich die Wodkaflaschen gesehen, die mir ein Freund, ich weiß nicht mehr, wer, oder war es einer der stummen Männer in der Nacht, geschenkt hat. Ich wollte sie eigentlich aufheben, für einen besonderen Anlass, und habe sie unter mein Bett gelegt. Sie sind etwas angestaubt, aber ich kann das Glas mit meinen Schenkeln polieren. Ich frage mich, was ich ursprünglich damit machen wollte. Eine Party feiern? Hier? Sie irgendwohin mitnehmen? Zu einem Freund? Es ist mir entfallen. Momentan. Was daran liegen mag, dass ich schon eine von den sechs Flaschen geleert habe. Es hat mich etwas Überwindung gekostet. Nicht nur an die beißende Schärfe musste ich mich erst gewöhnen, sondern auch an den Gedanken, dass ich hier mitten am Tag allein auf dem Boden liege und trinke, mit dem Vorsatz, bis zum Absturz zu saufen. Das ist so loserhaft. Aber das werde ich ja sowieso. Ein Loser.
Wie lang dauert es wohl noch, bis ich allen Stil verloren habe? Das ist doch das Einzige, was mir noch geblieben ist. Mein einziger Joker. Ich brauche mich. Ich kann mich nicht gehenlassen.
Also mache ich es besser. Der Absturz muss eine Form bekommen. Ich kann das. Noch. Ich weiß, wie das geht. Ich kann mich zusammenreißen. Erst einmal aufstehen. Ich setze einen Ellenbogen auf. Weshalb bin ich so schwer? Mein Gewicht liegt ganz auf diesem Arm. Mein Kopf will sich nicht
geradehalten und rollt einmal ganz herum, bis ich ihn mit der Hand stoppe. Das ist doch dumm, ich muss das doch schaffen. Ich kann doch noch nicht so dicht sein. Ich brauche keine Kopfstütze. Ich weiß, dass es auch ohne geht. Wenn ich meine Augen schließe, dreht sich das Zimmer weniger, der schreckliche Sog nach unten lässt nach. Ich richte meinen Oberkörper ganz auf. Im Sitzen taste ich nach den Flaschen. Eine fällt klirrend auf das Parkett. Egal. Entweder sie war leer oder verschlossen – es gibt nur diese zwei Möglichkeiten. Ich kann drei Flaschenhälse in einer Hand tragen. Sie sind kühl und schmal. Sehr elegant. Ich stehe. Von der Hüfte abwärts knicke ich zwar immer wieder lachhaft gummiartig ein, aber ich sitze nicht mehr und liege auch nicht mehr wie ein Penner herum. Ich bin wieder wer, wieder wach, wieder hier. Ich kann meine Augen öffnen. Hier oben dringt noch etwas
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