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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
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zu. Du bist so …«
    »Was, Melanie? Ich bin was?«
    Und sie fällt mir ins Wort: »Veraltet. Du bist so veraltet, bleibst zu Hause, weil du Schiss hast, jemand könnte besser sein als du, und du weißt, dass ich es schon lange bin. Und du hast echt den Anschluss verpasst. Weil du zu Hause hockst und heulst.«
    In diesem Moment trennt sich mein Kopf von meinem Körper. Oder ist es meine Seele, die mit ansehen muss, wie in meinem Bauch eine Tür aufgeht und Anita herauskommt, die kleine Anita, die erst von ihrer Mutter verlassen wurde, dann von ihrem Vater verraten, das heulende Mädchen Anita ist jetzt frei. Sie bohrt sich durch mein Fleisch nach oben, steigt die Rippen hinauf in meinen Hals und zwängt sich durch meine Luftröhre. Ich will sie nicht in meinen Mund lassen, aber ich kann sie nicht hinunterschlucken. Sie will raus. Jetzt will sie raus und Kleinkind sein, Melanie mit der Dramatik einer Vierjährigen antworten, sie hat meine großen Worte vergessen und redet jetzt, wie sie es in meinem Bauch gelernt hat. Galle will sie spucken, am liebsten in Melanies Augen, damit sie brennen und ihr ausfallen. Ich will ihr sagen: Lass Melanie doch. Du bist besser als sie. Ich will mich in den Arm nehmen, mir sagen, du bist schön, du gefällst mir, ich mag dich, ich liebe dich, sei still. Aber sie drückt mir die Zähne auf und schreit aus mir heraus Melanie
an. Ich habe nicht meine Fassung verloren. Es ist die vierjährige Anita, die Melanie die Worte ins Gesicht kotzt.
    »Weißt du denn, was du bist? Du bist eine verdammte Schauspielerin, okay? Du kannst einen doch nur belügen und so tun, als ob du einen magst, und dabei bist du nur darauf aus, mich zu stürzen! Weil du neidisch bist, du bist neidisch, du!«
    Die kleine Anita hat heiße Wangen, Tränen verätzen die Haut, und für diesen Schmerz will sie Melanie umbringen, stürzen von dem Thron, den sie mir entrissen hat. Wenn ich Anita doch nur helfen könnte. Wenn ich sie nur rauszerren könnte, bevor auch ich das Heulen anfange vor Melanie, endgültig das Machtspiel verliere.
    »Ach ja? Wer von uns beiden spielt denn? Ich weiß ganz genau, was du bist, du bist einfach nur armselig, nicht einmal Geld hast du, das Foto hat dich doch nicht einen Euro gekostet, und ich scheiße auf deine Pseudogroßzügigkeit!«
    Melanie scheißt darauf. Sie musste mal pissen, jetzt scheißt sie auf mich. Dabei glänzen ihre Augen. Sie liebt diese Wörter. Sie schämt sich nicht dafür, dass sie so redet.
    »In die Clubs bist du doch nur reingekommen, weil du mit den Türstehern geschlafen hast oder weil die Mitleid hatten mit dir, weil du immer allein und ohne einen Freund, ohne eine Freundin gekommen bist, der totale Loser, Außenseiter. «
    So kindisch. Das ist sie. Es macht Melanie Freude, mich zu beleidigen. Jetzt haben sich auch auf ihren Wangen Glanzpunkte gebildet, sie leuchtet wie mit Diamanten behängt. Aber sie ist nicht schön.
    »Du bist so ein Freak, Anita, aber du checkst es nicht und denkst, du wärst die Größte, Schönste, Tollste, und alle müssen dich anhimmeln! Darauf scheiße ich, Anita!«

    Melanies Glanz ist nur Schweiß, stinkender Schweiß, und der Übermut einer Dreizehnjährigen. Ich bin nicht die kleine Anita. Geh weg, Anita! Hau ab und lass mich das regeln. Geh in meinen Bauch und friss meine Eingeweide. Heul weiter. Stirb meinetwegen. Niemand vermisst Anita. Eine Göttin wie ich muss her.
    Ich stehe auf. Ich bin verdammt nochmal größer, schöner, besser als dieses mickrige Luder hier, ich bin so viel besser, sie weiß nicht einmal, wie gut ich bin.
    »Außerdem bin ich schwanger von Tobias«, sage ich und schaue in ihre hässlichen, kleinen Augen.
    Und sie steht auch auf, ganz langsam, es ist mir unheimlich, was wird sie tun, wird sie mich schlagen oder umbringen, oder fällt sie mir um den Hals, liebt sie mich wieder? Liebt sie mich auch?
    »Das war doch klar, Schlampe.«
    Und damit geht sie. Mitsamt den beiden Drinks. Bis zur Bar, setzt sich auf einen Hocker, lässt sich von dem Barmann eine Zigarette geben, der zündet sie auch noch an, und sie bläst Rauch zwischen sich und den Tisch, an dem ich immer noch sitze. Ich muss hier raus, ich muss so verdammt raus. Sonst kommt Anita zurück. Oder bin ich schon wieder sie? Ich muss hier raus. Aber dazu muss ich an ihr vorbei, sie weiß es, sie sitzt doch vermutlich genau deshalb da, weil ich dann an ihr vorbei spießrutenlaufen muss, so unglaublich peinlich. Weil sie mich sehen kann, beobachten kann

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