Euro Psycho
will, kann ich nicht immer mit Karacho durch den Vordereingang stürmen. Manchmal kommt man am schnellsten ganz, ganz langsam ans Ziel. Ich setze mich wieder, lasse den Blick über den Platz wandern. Als sich ihr Innenverteidiger Lado Borodin mit dem auffallenden Quadratschädel umdreht, sehe ich den Namen auf der Rückseite seines Trikots: Rio Ferdinand.
Ein weiterer Schlag in die Magengrube meines Lifestyles.
UI-Cup 2006
Zwei Ritter zu Pferd kommen auf uns zugaloppiert, einer von ihnen schwingt einen funkelnden Morgenstern, der andere zückt sein Schwert. Nein, nicht wirklich. Aber es ist klar, was ich damit sagen will. Dieser Ort ist tiefstes Mittelalter.
Schaukelnd fahren wir über eine mit Schlaglöchern übersäte Straße, zuckeln vorbei an Wellblechhütten, auf deren staubigen Höfen ausgemergelte Hühner ihr Futter picken. Die Frauen, die wir zu Gesicht bekommen, haben allesamt die Ausmaße von Kleiderschränken. Die Männer sehen alle aus wie Säufer. Das Taxi ist scheiße. Der Fahrer ist scheiße. Und für diese Stadt, zumindest ihre Außenbezirke, wäre das Wort »Scheiße« noch zu schade.
Shishlaki hat es richtig gemacht: Er hat sich Richtung Flughafen verdrückt und behauptet, der Vereinspräsident wolle mich unter vier Augen sprechen, so dass ich und Craggsio jetzt alleine ins 14. Jahrhundert zurückfahren. Mein Gott, worauf hab ich mich da bloß eingelassen? Auf was für einen beschissenen Club aus der Inquisitionszeit? Dann sehe ich am Horizont mehrere Gebäude in die Höhe ragen. Je näher wir kommen, desto mehr dringen wir in die Gegenwart vor. Der Straßenbelag wird eben, und in der Ferne erheben sich funkelnagelneue Hochhäuser. Türme, in denen sich das Sonnenlicht spiegelt. Wo man auch hinsieht, funkelndes Glas. Saugeile Hotels, die nach neureicher Kohle stinken.
Wir biegen nach Westen, weg von den Hochhäusern. Die Gebäude hier sind niedriger und älter. Dieser Teil der Stadt, diese Zone, kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Wir fahren die Hauptstraße entlang – einen Boulevard, das ist die richtige Bezeichnung –, zu beiden Seiten neoklassizistische Gebäude, ähnlich wie in Paris. Kpalandze-Allee heißt die Straße. Oder was weiß ich was für eine Ansammlung von Buchstaben diese Komiker aus dem Hut gezaubert haben. Wir kommen am Ballett vorbei, am Theater und an so was Ähnlichem wie dem National Museum in London. Auf einem reservierten Parkplatz, vor einem arschgeilen vierstöckigen Herrschaftshaus, kommen wir schließlich zum Stehen.
Wir steigen aus dem Taxi. Der Fahrer, der vom Verein bereits bezahlt wurde, deutet mit dem Kopf auf die blank polierte Eingangstür. Ich bleibe stehen, betrachte sie und denke nach. Mein Schicksal liegt hinter dieser Tür.
Wer ist der Präsident dieses Clubs? Was für ein Angebot wird er mir machen?
Wenn Shishlaki andeutet, dass ich mich nicht zufällig in diesem Land befinde, meint er damit, dass der Präsident seine Finger dabei im Spiel hatte? Wenn wir schon innehalten und uns diese unangenehmen Fragen stellen, was ist mit Shish selbst? Immerhin wusste er, dass ich zum Eurovision Contest fahre, oder? Und dass der Bentley am Trainingsgelände stand. Hat er womöglich etwas mit der Spielmanipulation zu tun und mit den drei Millionen, die im Wagen eures Kev deponiert wurden?
Unzählige Fragen schwirren mir durch den Kopf, während ich auf der Hauptstraße dieser kaukasischen Stadt stehe und darauf warte, einen Vorgeschmack darauf zu bekommen, wie meine Zukunft aussehen könnte. Ich wende mich an Craggsio, meinen treu ergebenen Diener, in der Hoffnung, in seinem Gesicht eine Antwort zu finden. »Klopf schon, Kingy«, sagt er nur. »Ich muss aufs Klo.«
Also trete ich vor und hämmere mit meinen gekrümmten Fingern sportlich gegen die massive Tür, woraufhin ich einen stechenden Schmerz verspüre. Dann fällt mein Blick auf einen schweinegeilen Messinggriff. Ich ziehe daran. In der Eingangshalle, in der feudalen Heimstätte des geheimnisvollen Vereinspräsidenten, ertönt feierliches Glockenläuten.
Also schön, gebongt. Auf geht’s. Jetzt entscheidet sich mein Schicksal.
Ein relativ junger Bursche, wahrscheinlich ein Angestellter, öffnet die Tür. Er trägt jedoch keine Butler-Kluft, weder Schwarz noch Weiß, er steht einfach nur da, strahlt übers ganze Gesicht und versperrt uns den Weg.
»Ist Ihr Chef zu sprechen?«, frage ich ziemlich gereizt, worauf er mit einem betrübten Grinsen antwortet: »Also, mein Vater ist vor Kurzem
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