Euro Psycho
Trikots in dieser Art.«
Ich halte inne und werfe Dick Fick die Torhütermontur zu.
»El Presidente hat sie aus seinem Familientresor geholt.«
Ja, das hat er. Ich war dabei, und der Anblick der Kluft hat mich zunächst ein wenig schockiert, denn – um es deutlich zu sagen – das Trikot sieht beschissen aus. Alt und beschissen. Es ist eine echte Beleidigung, es tragen zu müssen. Darum habe ich gefragt, ob wir Duplikate davon anfertigen lassen können, aus einem gore-tex-mäßigen, schweißabweisenden, aerodynamischen, leistungssteigernden Gewebe. Und ob wir den klassischen Look der Montur nicht mit einem filigranen Stickwappen, einer Knopfleiste und eng anliegenden Ärmeln der aktuellen Mode anpassen könnten.
Aber nein. Er war dagegen. El Presidente hat mich davon überzeugt, was für eine symbolische und motivierende Wirkung es hat, wenn man die alte königliche Montur trägt. Also habe ich es für die Mannschaft mitgenommen. So was tut man, wenn man reifer wird. Und wenn einem gesagt wird, dass es das Lieblingstrikot von Prinzessin Ika ist. Also habe ich mir so ein altes Siffteil übergezogen. Nachdem ich die Mottenlöcher habe stopfen lassen, es gefärbt und die alten Namen und Nummern durch neue ersetzt habe.
»Diese Trikots, Jungs, wurden getragen, als es in dieser Liga das letzte Mal fair zuging. Bevor die Sowjets sich euer Land einverleibt und die Liga manipuliert haben. Bevor Dynamo jedes Jahr die Meisterschaft geholt hat. Diese Trikots sind … die letzten freiheitlichen Trikots der christlichen Welt.«
Ich mache eine Pause. Bin ich zu weit gegangen? Nein, sie starren mich verzückt an …
Sie kennen Braveheart, Gladiator und Königreich der Himmel . Diese Jungs können einen Weckruf verkraften.
»Und mit diesen Trikots werden wir denen, die da verderbt sind, Gerechtigkeit abtrotzen.«
Sehr schön.
»Und ein Königreich der Freiheit, der Pokale und des erstklassigen Kundenservice errichten.«
Großartig, Kev.
»Zu dem die Zone-Achtzehn-Trottel keinen Zugang haben. Und aufgedunsene Weiber auch nicht.«
Sie hören mir nicht mehr richtig zu, das merke ich. Also heize ich auf die rhetorische Hauptstraße zurück.
»Mit diesem Trikot werden wir den zehnten Titel holen.«
Doch die Jungs scheinen immer noch nicht überzeugt. Selbst nachdem ich Die Unbestechlichen erwähnt und Ash und Nico vorgestellt habe, ihnen das historische Trikot ausgehändigt und ihnen eine gehörige Portion Emotionsrhetorik um die Ohren gehauen habe. Sie kaufen es mir immer noch nicht ab. Und ich weiß auch, warum. Der Stachel des Misserfolgs sitzt zu tief: Zu oft hat ihnen die Geschichte die Kniescheibe in die Eier der Enttäuschung gerammt, als dass man mit einer einzigen Rede – egal wie leidenschaftlich sie vorgetragen wird –, mit der Motivationsansprache eines Vormittags ihre negative Grundhaltung verändern kann.
Ich verstehe das. Und Kevin Keegan ebenfalls, denn plötzlich höre ich meine innere Stimme sagen: »Selbstvertrauen ist nicht alles.« Ja: »Selbstvertrauen ist nicht alles.«
Diesmal muss ich nicht fragen: »Bitte was, Keegan?«
Ich weiß, was er damit sagen will …
Es war am 7. Oktober 2000, als man noch in eine Bank marschieren und mit nichts als einem intakten Geruchssinn als Sicherheit zweieinhalb Millionen Pfund leihen konnte. Es war während des letzten Spiels im alten Wembley-Stadion, bevor die Metallnippel der Twin Towers abgerissen und durch einen Bogen von monumentaler Sinnlosigkeit, vierhundert Meter Rolltreppen und durch Auftritte von Bon Jovi, U2 und Joss Stone ersetzt wurden.
Auf der einen Seite war der keinmalige Gewinner der Europameisterschaft. Also England.
Auf der anderen der dreifache Europameister. Also Deutschland.
Ein Qualifikationsspiel für die WM . Keegan trug den Umbro-Trainingsanzug des Nationaltrainers, seine dachsfarbenen, Onduliert-er-sie-oder-sind-die-Locken-echt?-Haare wurden vom strömenden Regen Richtung Platz gepeitscht.
Eine im Vorfeld gnadenlos hochgejubelte Begegnung, aber was für ein grottenschlechter Kick. Deutschland lag durch einen langen, flachen Schuß von Didi Hamann in Führung. Keegan stand an der Linie, nervös wie ein Seestern neben einem Halogen-Heizgerät. Das Spiel glitt ihm zusehends aus den Händen.
Und was tat er? Zauberte er eine noch nie dagewesene Mannschaftsaufstellung aus der Londoner Luft? Soweit ich mich erinnere, tigerte er in der Coaching-Zone auf und ab und sagte: »Selbstvertrauen … Selbstvertrauen … Selbstvertrauen …«.
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